Der Krake
aus toten Fischen. Die bunten Farben der Meeresbewohner, das trostlose Grau und die durchsichtigen Kuriositäten der Tiefsee sammelten sich in Hekatomben gleich neben Kreaturen aus höheren Schichten, wo der Druck milder war und Himmelslichter das Wasser erhellten.
Laute Anweisungen erklangen. Billy bahnte sich einen Weg durch das Klatschen sterbender Fische und hielt sich an von Tang durchzogenen Geländern fest.
In der Küche befand sich eine vom Meerwasser aufgeweichte Tür zum Wohnzimmer. Der Boden war übersät mit zerbrochenem Geschirr. In der Spüle zappelte ein Oktopus. Billy musterte ihn, fühlte sich ihm aber nicht verwandt. Aus dem Nebenraum hörte er gedämpfte Stimmen.
»Da sind schon einige von denen«, sagte Collingswood.
»Wir müssen da rein«, flüsterte Billy. Sie starrten einander an. Collingswood sog hörbar Luft zwischen den Zähnen hindurch.
»Geben Sie mir eine Sekunde Zeit, Billy«, sagte sie. »In Ordnung? Haben Sie verstanden?«
»Was haben Sie ...?«, setzte er an. Sie zog eine Braue hoch. Er nickte und griff zu der Pistole, die er Dane abgenommen hatte.
»Wenn ich das alles richtig verstanden habe ... verschütten Sie ihn«, sagte sie. »Alles klar, Billy? Seien Sie nicht ihr Leben lang ein Versager.« Sie schürzte die Lippen und machte ein Zeichen mit den Fingern, etwas aus einem Musikvideo. »Ostseite«, sagte sie.
Sie trat wieder hinaus auf den Korridor und ging zur Haupteingangstür des Wohnzimmers. Er hörte, dass sie irgendetwas tat, ein Trick, ein Geräusch, eine widernatürliche Erschütterung. Er hörte, wie eine Tür geöffnet wurde, dann Lärm. »Lasst sie nicht rein«, erklang Byrnes Stimme, dann das Stampfen von Schritten Richtung Eingang und zur Tür hinaus. Billy trat die andere, modernde Tür auf, die Waffe schussbereit in der Hand.
78
Hinein in die Grotte, den Salon der See. Billy war vollkommen ruhig.
Begleitet von Wandfetzen sprang er hinein. Da gab es korallenartige Konstrukte, Salzwasserflecken, große, reglose Fische. In einer Ecke lag ein gewaltiger, lappiger Leib, etwas, das er nicht identifizieren konnte, obgleich er Augen sah, die ihn aus dem Fleischberg heraus musterten. Die Waffenwirte hatten den Raum verlassen, um Collingswood zur Strecke zu bringen.
Da ruhte der Krake in seinem Tank, der nur noch eine geringe Menge an Konservierungsflüssigkeit enthielt. Daneben stand Byrne mit irgendeinem Buch über Schadmagie unter dem Arm und der Flasche Grisamentum in der Hand. Eine gewaltige Spritze hing in der Haut des Kraken. Byrne kitzelte, stimulierte das tote Tier auf obszön erscheinende Weise. Der Krake bewegte sich.
Die leeren Augenhöhlen zuckten. Der Rest des mit Seewasser verdünnten Formalins schwappte, als das Tier sich drehte, seine Glieder reckte und entwirrte, noch zu schwach, als dass es um sich schlagen konnte, die Haut skabrös und unregeneriert, aber der Krake war lebendig oder nichttot. Er war ein Zombie. Ein Untoter.
In Panik in Anbetracht seines so plötzlich beendeten Todes verspritzte er schwarzbraungraue Tinte. Sie ergoss sich an die Innenseite des Tanks und in jenen Rest an Flüssigkeit, in dem der Krake lag.
Billy sah, wie Byrne nach der Spritze greifen wollte. Sah, wie sie sich in Bewegung setzte. Und er schoss. Der Behälter mit Grisamentum explodierte.
Byrne schrie auf, als Glas, Tinte und Blut aus ihrer verletzten Hand vor ihr aufwallten und durch ihre Finger rannen. Tinte spritzte auf den Boden, löste sich auf in den Strömungen des sich entleerenden Hauses. Ein Waffenwirt kam zurück und starrte Byrne und die Tintenflecken an ihrem Körper an. Billy röhrte ein triumphierendes Haaaa! und kehrte in die Küche zurück. »Collingswood«, brüllte er.
»Was?«, hörte er. Billy schaute durch die Tür und sah, wie der Krake sich bewegte. »Haben Sie ihn erwischt?«, schrie Collingswood.
»Ja, habe ich«, brachte Billy keuchend vor Verzückung hervor. »Ich habe ihn verschüttet, er ist ...« Byrne flüsterte dem Tank etwas zu. Sie triefte, drückte ihr Oberteil aus, sodass die Tinte, die sie befleckt hatte, in der Krakentinte landete.
»Scheiße«, sagte Billy, während er sie fixierte. »Wie viel ...« Die Welt antwortete ihm.
Wie viel Grisamentum brauchte es, um sich mit der Krakentinte zu vereinen. Um sie in sich aufzunehmen?
Die Welt zeigte es ihm: Nicht viel.
Ein großer Teil Grisamentums wütete in wortloser Flüssigkeit, während platschende Fußtritte ihn verteilten. Doch ausgewrungen von seinem Wesir landete
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