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Der Krake

Der Krake

Titel: Der Krake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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ein Gläschen seiner selbst, angefüllt mit dem Wissen der Krakenisten, das er so gierig aufgenommen hatte, in dem Tank. Er verteilte sich, verband sich, vermengte sich mit der Krakentinte, ebenfalls Tinte, zwei Tinten, die eine neue Tinte herausbildeten, und er veränderte sich.
    Die Flüssigkeit im Tank fing an zu brodeln. Der Zombiekalmar warf sich herum, wand sich, schlug gegen das Plexiglas. Seine Tinte schäumte.
    Billy feuerte angestrengt auf den Tank, schoss direkt hindurch, brach Teile heraus, und seine Kugeln schlugen in den dichten Körper des Kraken ein. Die Flüssigkeit im Inneren jedoch floss nicht durch die Löcher. Der Schwerkraft zum Trotz behielt sie die von dem Tank vorgegebene Form bei. Eine Präsenz sammelte sich zu einem Strudelwesen aus zusammengesetzter Tinte, verbranntem Mann und Krakenschriften, und eine aus Blasen bestehende Stimme lachte.
    Die dunkle Flüssigkeit erhob sich. Ein Pfeiler, eine Männergestalt, die lachte und zeigte und beide Arme hob.
    Und sie begann, die Regeln umzuschreiben.
    So verschwand auch die Wand, hinter der sich Billy verborgen hatte. Sie stürzte nicht ein, löste sich nicht auf, zerfiel nicht, sondern war ganz einfach nicht da, war nicht. Die Küche war nun Teil des Wohnzimmers, bar ihrer Spüle und Bestecke, dafür angefüllt mit Sofas und Bücherregalen, die noch feucht waren von dem restlichen Meereswasser.
    Die Pistole in Billys Hand war fort. Denn Grisamentum schrieb, es gäbe keine Schusswaffen in diesem Raum. »Oh Jesus«, brachte Billy stockend hervor, und die Tinte Grisamentum schrieb ein Nein über sein Bewusstsein. Nicht einmal ein Gott war er, nein, er war die Regeln, die Gott schrieb. Die Waffenwirte stolperten. Byrne lachte, erhob sich in die Lüfte, emporgehoben von dem Boss, den sie liebte.
    Billy spürte, wie sich etwas sehr Gefährliches, etwas Aussichtsloses niederließ, spürte, wie sich etwas schloss, das stets und überall offen gewesen war, als die Geschichte sich dem Willen eines anderen beugte. Er fühlte, wie sich etwas bereitmachte, den Himmel neu zu schreiben.
    Die Tinte bildete eine Sphäre, die über dem Tank schwebte. Fäden ragten heraus, spannen Worte und veränderten Dinge. Schriftliche Befehle hingen in der Luft.
    Der Krake sah Billy aus nicht vorhandenen Augen an. Er regte sich. Krampfte. Nicht ängstlich, wie Billy erkannte. Nicht aus Schmerz. Konservieren. Er musste ihn konservieren. Wo war sein Engel? Wo war sein Glasflaschenheld?
    Das ist ein Fiasco. Bei dieser eigenartigen Formulierung hätte er beinahe gelacht. Es war eine Katastrophe, ein Desaster, ein, ein, dieses Wort, es saß hartnäckig in seinem Kopf fest. Fiasco.
    Er schlug die Augen auf. Das Wort bedeutete Flasche.
    Das ist alles eine Metapher, erinnerte sich Billy. Es ist eine Form der Beeinflussung.
    »Das ist kein Krake«, sagte er. Der Tintengott hörte ihn nicht, bis er seine Worte wiederholte, doch dann lag alle Aufmerksamkeit der Welt, amüsiert, auf ihm. »Es ist kein Krake, und es ist kein Kalmar«, wiederholte Billy. Das augenlose Etwas im Tank hielt seinem Blick stand.
    »Krake ist Krake«, sagte Billy. »Das hat mit uns nichts zu tun. Das da? Das ist ein Museumsstück. Ich weiß es. Ich habe es präpariert. Es gehört uns.«
    Ein besorgter Ausdruck huschte über Byrnes Gesicht, als sie um die eigene Achse wirbelte. Flaschenmagie, dachte Billy. Die Tinte erzitterte.
    »Die Sache ist«, sagte Billy unter dem Einfluss einer plötzlichen Adrenalinausschüttung, »die Sache ist die, dass die Krakenisten dachten, ich wäre ein Prophet der Kraken, wegen dem, was ich gemacht habe. Aber das war ich nie. Was ich bin ...« Und sei es irrtümlich, sei es durch ein Missverständnis, einen fehlgeschlagenen Scherz, und sei es, dass das schon alles war; schließlich, wie wurde so ein Messias denn erwählt? »Ich bin ein Flaschenprophet.« Eine gänzlich unbeabsichtigt entstandene Macht des Glases und der Erinnerung. »Darum weiß ich, was das ist.«
    Neben Billy war wieder ein Spülbecken, und die Wand kehrte zurück, jedenfalls ein paar Zentimeter weit. Der eingemachte Krake schnaufte durch seinen Sipho. Die Wand wurde größer.
    »Das ist kein Tier und kein Gott«, sagte Billy. »Es hat nicht einmal existiert, ehe ich es präpariert habe. Das ist mein Präparat.«
    Die neuen Regeln wurden durchgestrichen. Billy konnte den Kampf spüren. Er sah die Wand schrumpfen und wachsen; sah sie sein und nicht-sein, gewesen-sein und nicht-gewesen-sein; er fühlte sich imstande

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