Der Kranich (German Edition)
Gustav?“
„Respekt.“
„Du gibst dir nicht mehr die Schuld?“
„Nein.“
„Und was erzählst du mir nicht?“
„Mehr weiß ich nicht, Karin.“
Draußen war es dunkel geworden, und der Raum wurde nur vom Schein der Schreibtischlampe erhellt, der weich auf Gustav Elverts Gesichtszüge fiel. Karin Kutscher lehnte sich in ihrem Sessel zurück und dachte über seine Worte nach.
„Hältst du mich über die emdr-Sache auf dem Laufenden?“
„Natürlich.“
Sie zögerte einen Augenblick. „Hör mal … ich sterbe vor Hunger. Was hältst du davon, eine Kleinigkeit essen zu gehen?“
Sie waren wie üblich im Café Königsbau verabredet.
Eva hatte den Tag in Tübingen verbracht, wo sie inzwischen einen gewissen Seltenheitswert besaß. Mitleidige oder kritische Kommentare von Kommilitonen oder Professoren interessierten sie ohnehin nicht. Natürlich wurde an der Uni bevorzugt der
Chronos
gelesen, doch von ihrer Verbindung zu Lukas wussten die Wenigsten. Anke gehörte selbstverständlich dazu, doch die wusste glücklicherweise, wann sie den Mund zu halten hatte.
Nach einer langweiligen und nicht enden wollenden Zivilrechtsvorlesung fuhr Eva direkt nach Stuttgart. Sie parkte am Rotebühlplatz und schlenderte die Königstraße entlang Richtung Schlossplatz. Es war noch immer recht kalt, wenn auch kein Vergleich zum sibirischen Januar, und es tat gut, dass sich die Sonne ab und zu blicken ließ. Wie gewöhnlich war die Stuttgarter Einkaufsmeile am frühen Abend gut besucht. Menschen hetzten mit Tüten bepackt auf der einen Seite in die Geschäfte hinein und auf der anderen wieder heraus.
Da Eva noch etwas Zeit hatte, genoss sie es, ein paar kurze Abstecher in ihre Lieblingsboutiquen zu machen und ein bisschen zu stöbern. Schließlich erstand sie einen silbergrauen Kaschmirschal, den sie sich auch sogleich um den Hals schlang. Sie hoffte, sie würde sich dadurch besser fühlen, aber der Erfolg war nur mäßig. Der Schal fühlte sich weich und warm an, doch das Gefühl von Leere und Einsamkeit blieb.
Nicht dass sie sich beklagt hätte. Es gab wieder Nächte, in denen sie schlafen konnte, und es gab Momente, in denen ihre Gedanken nicht bei Lukas waren. Kalle war da, er trank weniger als früher, und er fasste sie anders an als früher. Konnte man mehr verlangen? Doch eine quälende Ungewissheit blieb.
Sie traf fast zeitgleich mit ihrem Vater vor dem Königsbau ein. Sie begrüßten sich etwas steif, traten ein und suchten sich einen ruhigen Ecktisch aus. Martin Beier bestellte seinen üblichen Hawaiitoast, ohne Wein diesmal, Eva nur einen Milchkaffee.
„Du solltest was essen. Du siehst dünn aus.“
Eva sah ihren Vater an. Er wirkte abgespannt, übernächtigt. Tiefe Falten gruben sich in sein freundliches Gesicht. „Papa … ich wollte … mich bei dir entschuldigen.“
„Wofür?“
„Neulich im Büro. Es war nicht fair. Ich weiß, dass du alles tust, um …“
„Schon vergessen.“
Sie streute Zucker in ihre Tasse und rührte um. „Gibt es irgendwas, das du mir sagen darfst?“
„Das meiste ging ja inzwischen sowieso schon durch die Presse.“
Eva nickte. „Ist es wahr?“
Seufzend legte Martin Beier das Besteck zur Seite und starrte auf seinen Toast. „Bis jetzt sind es nur Vermutungen, Eva. Solange wir ihn nicht …“, er räusperte sich, „… gefunden haben, sind weiterhin beide Varianten denkbar.“
„Habt ihr jemanden festgenommen?“
„Darüber darf ich nicht sprechen.“ Er griff nach ihrer Hand. „Es tut mir leid.“
„Ist schon okay.“
„Erzähl mir lieber, was es bei dir Neues gibt. Warst du heute in Tübingen?“
„Ja.“
„Und was machen deine Prüfungen?“
Was bedeutete schon ein verlorenes Semester! „Ist das jetzt wichtig?“
„Na ja …“
Eva schüttelte verzweifelt den Kopf. „Bitte, Papa. Du musst mir nichts über deine laufenden Ermittlungen sagen, aber bitte, beantworte mir eine einzige Frage …“
Martin Beier hob die Brauen.
„Du hast von zwei Varianten gesprochen … glaubst du nicht, dass es noch eine dritte geben könnte?“
„Du meinst, dass er das Ganze inszeniert hat?“ Martin Beier lehnte sich zurück und musterte seine Tochter mit ernstem Blick. „Ich will dir die Wahrheit sagen, Eva. Das halte ich für ziemlich unwahrscheinlich. Abgesehen von der Indizienlage – würde er den Menschen, die ihn lieben, so etwas antun?“
„Wenn er es getan haben sollte, dann hat er auf jeden Fall gute Gründe dafür gehabt.“
Eine
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