Der Kranich (German Edition)
Probleme. Ich bin bei der Operation mit Keimen infiziert worden. Vielleicht werde ich es verlieren.“
Elvert spürte einen schmerzhaften Stich. „Das tut mir leid.“
„Das ist nicht, worüber ich mit Ihnen sprechen wollte. Dafür sind die Ärzte zuständig.“
Die Zähigkeit dieses Menschen war wirklich beeindruckend! „Ich möchte mich außerdem bei Ihnen für die Pause entschuldigen, die meinerseits entstanden ist“, fuhr Elvert fort. „Auch bei mir gab es ein gravierendes Ereignis, das ich zunächst verarbeiten musste.“ Er nahm wahr, wie sich der Blick seines Klienten verdunkelte.
„Und – haben Sie es verarbeitet?“
„Ich hoffe jedenfalls, dass ich Ihnen jetzt wieder von Nutzen sein kann. Aber auch das ist eigentlich nicht unser Thema, sondern …“
Thomas Lamprecht schüttelte den Kopf. „Sie irren sich. Genau darüber wollte ich mit Ihnen sprechen.“
Flüchtig tauchte Lukas’ Gesicht vor Elvert auf, während er Lamprecht aufmerksam musterte. Der Mann, der ihm gegenübersaß, war so schmächtig, dass er in seinem Sessel fast versank. Sein Blick flog unruhig die Wände entlang, er wirkte unsicher, fast verängstigt, doch das war nicht weiter verwunderlich. Auf die Geschichte, die Gustav Elvert nun zu hören bekam, war er jedoch nicht im Geringsten vorbereitet.
„Ich möchte über Lukas Stegmann sprechen.“
Während der folgenden zwanzig Minuten vergaß Elvert mehrmals zu atmen und musste seine gesamte professionelle Disziplin aufbieten, um nicht die Fassung zu verlieren. Als Thomas Lamprecht seinen Bericht beendet hatte, hatte er sich jedoch wieder im Griff.
Er strich sich übers Kinn und nickte bedächtig. Nun ergab plötzlich alles einen Sinn.
Er räusperte sich, versuchte seine Stimme ruhig und gelassen klingen zu lassen und hoffte, dass nur er selbst das Zittern darin wahrnahm. „Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit. Ich glaube, dass Sie sich damit einen großen Dienst erwiesen haben.“
Elvert machte eine Pause und überlegte, wie er vorgehen sollte. Er spürte, dass das Vertrauen, das ihm entgegengebracht wurde, so zerbrechlich war wie Meissner Porzellan.
„Lassen Sie mich zunächst sagen, dass ich Sie für nichts, was Sie getan haben, verurteile. Und natürlich wird nichts, was Sie mir anvertraut haben, diesen Raum verlassen. Was Lukas Stegmann betrifft, so kann ich Ihnen keine endgültige Antwort geben. Ich kann Ihnen nur Folgendes sagen: Wir neigen stets dazu, voreilige Schlüsse auf der Basis einer ungenügenden Informationslage zu ziehen. Haben Sie in keinem Augenblick daran gedacht, dass Lukas es geschafft haben könnte, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen?“
Lamprecht wollte etwas entgegnen, doch Elvert schüttelte den Kopf. Jetzt war Thomas Lamprecht der Klient und nicht Lukas Stegmann. Er musste dafür sorgen, dass das erneute Trauma sich nicht verfestigte. Natürlich war das ein Risiko, doch er hielt ihn für stabil genug, um ihn damit zu konfrontieren. Thomas Lamprecht hatte seine Kraft in beeindruckender Weise bewiesen!
„Was mit Lukas geschehen ist, ist wichtig, aber im Augenblick geht es mir um etwas anderes. Sie haben alles versucht, was in Ihrer Macht stand, um ihn zu schützen. Notfalls um den Preis Ihres Lebens. Ich denke, das wiegt die Fehler, die Sie in diesem Zusammenhang gemacht haben, mehr als auf. Wenige wären dazu in der Lage gewesen. Und wir werden auf dieses Thema zurückkommen, das verspreche ich Ihnen. Doch nun bitte ich Sie, sich mit mir gemeinsam anzuschauen, was Ihnen angetan wurde. Sind Sie dazu bereit?“
Thomas Lamprecht richtete sich in seinem Sessel auf, wie ein Soldat, der antritt, sich dem letzten Gefecht zu stellen.
„Ja. Das bin ich.“
EPILOG
Setz dich, sei still und höre zu, denn du bist trunken, und wir befinden uns am Rand des Daches
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Rumi
Der Regen strömte über meinen Körper, ich war bis auf die Knochen durchnässt, und ich hatte mich noch niemals in meinem Leben so glücklich gefühlt.
Noch immer ruhte mein Blick auf dem Holzkreuz, das das frische Grab zierte, und noch immer stellte ich mir vor, es sei meines. Doch der Name auf dem Kreuz war mir unbekannt. Es war nicht Lukas Stegmann, der hier unter der Erde lag, und zum ersten Mal war ich dankbar dafür.
Nun war ich bereit, ins Leben zurückzukehren.
In Bogotá, auf dem Postamt, als ich den Kranich für Dr. Elvert abgeschickt hatte, war mir die rettende Idee gekommen. Maya, von der ich nun wusste, dass sie nichts anderes war als das Tor zu einer
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