Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
Ohei seiner Enkelin ins Wort. »Hast du vergessen, wie alt ich bin, Momo? Ich wäre längst verrottet, bevor ihr ein sicheres Versteck für mich gefunden hättet. Nein, ich habe dem Tenno einen großen Dienst erwiesen, als ich David-kun zu Toyama führte. Jetzt kann ich in Ruhe sterben.«
»Gewiss, Großvater«, antwortete Momoko und verbeugte sich ehrerbietig, aber David konnte aus ihren Augen etwas anderes lesen: Darüber unterhalten wir uns noch ein andermal, alter Mann.
Wiederum wurden Glücks- und Segenswünsche ausgetauscht. David bat Ohei gut auf sich aufzupassen und der Greis wünschte dem Paar ein Haus voller Kinder. Als David und Rebekka dann endlich zur Anlegestelle der Fähre aufbrachen, war es ihnen schwer ums Herz. Vermutlich würden sie den kratzbürstigen Greis und seine geduldige Enkelin niemals wieder sehen.
Etwa zwei Stunden später betraten sie ein hölzernes Haus im Tokyoter Stadtteil Shinagawaku, das wiederum in einem Viertel lag, das genauso hieß wie Toyamas einstiger Koch: Ozaki. Bei der gedanklichen Suche nach einem sicheren Unterschlupf hatte diese Übereinstimmung Davids Augenmerk auf den Wohnort eines alten Bekannten gelenkt, der ihm noch einen Gefallen schuldete.
Graf Takeo Yonai gehörte zu Kidos Geheimdienst, der David bei der Suche nach Toyamas Verstecken wertvolle Dienste geleistet hatte. Bei mehreren Besprechungen hatte David den jungen Offizier der kaiserlichen Leibwache kennen und schätzen gelernt. Yonai stammte aus einer angesehenen Familie und war finanziell unabhängig. Den schmalen Sold nahm er nur deshalb an, weil es für ihn einer Beleidigung gleichgekommen wäre, eine Gabe des Tennos zurückzuweisen. Yonai diente dem Gottkaiser allein um der Ehre willen.
Und gerade diese Einstellung hatte ihn vor gut einem Jahr in ernste Schwierigkeiten gebracht. Takeo Yonai war damals verlobt. Seine Braut hatte ihn wegen des plötzlichen Todes ihres Vaters um einen außerplanmäßigen Besuch gebeten. Zur selben Zeit sollte der Offizier aber auf Befehl des Kaisers eines von Toyamas Häusern observieren. (In Wirklichkeit stammte die Anweisung aber nur von Kido.) Natürlich hatte für Yonai die Order des Tennos Vorrang, dennoch stattete er aus Mitgefühl der trauernden Braut wenigstens einen kurzen Besuch ab. Der gespendete Trost kostete ihn dann allerdings fast das Leben.
Als er mit geringer Verspätung beim Beobachtungsposten eintraf, begrüßte ihn sein Untergebener, ein gewisser Matsudaira, mit bleichem Gesicht: Gerade eben habe Toyama in Begleitung seiner Leibwache das Haus verlassen. Den unerfahrenen Hilfsspion Matsudaira hatte diese wichtige Entdeckung regelrecht überwältigt. Von Angst gepackt, irgendetwas falsch zu machen, tat er einfach nichts. Bis Takeo Yonai kam.
Tags darauf erstattete der Offizier seinem Vorgesetzten ordnungsgemäß Bericht und versprach alsbald die Konsequenzen aus seiner schändlichen Pflichtverletzung zu ziehen. Glücklicherweise war David bei der Lagebesprechung anwesend und verstand Yonais Ansinnen nur zu genau. Dieser wollte sich im rituellen seppuku den Bauch aufschlitzen. Während Kido die Selbstentleibung seines Untergebenen zwar mit Bedauern, aber gleichwohl verständnisvoll akzeptiert hätte, setzte David alle Hebel in Bewegung, um das Leben des jungen Mannes zu retten. Als er Hirohito persönlich von dem Missgeschick Yonais berichtete und meinte, dessen Verlobte habe nun bald neben dem Vater auch den Bräutigam zu betrauern, trat der Kaiser höchstselbst auf den Plan. In einer Privataudienz gelang es dem Tenno, seinem Untertan glaubhaft zu versichern, dass er sich von diesem im Stich gelassen fühlen werde, sollte sich Yonai seiner wichtigen Aufgabe durch seppuku entziehen. Damit war Takeo Yonai gerettet.
Nach seiner Rehabilitation verehrte Yonai den ihm nur als Francis J. Murray bekannten Kaiservertrauten wie einen alten Weisen. Tatsächlich betrug der Altersvorsprung Davids gerade einmal fünf Jahre.
Als David nun am Nachmittag dieses 30. Juli 1929 an die Tür von Yonais Haus klopfte und um vorübergehende Unterbringung bat, willigte der Offizier sofort ein. Er war hocherfreut, sich endlich für die ihm einst erwiesene Wohltat revanchieren zu können.
Inzwischen hatten Takeo Yonai und seine Braut Yachiyoko längst geheiratet. Die zwei passten gut zueinander. Beide waren lebhaft, gertenschlank und reichten David gerade bis zur Brust. Gemeinsam überschütteten sie den unverhofften Besuch geradezu mit ihrer Gastfreundschaft. Man werde den
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