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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Land«, murmelte Gandhi vor sich hin, um dann an David gewandt fortzufahren: »Vielleicht kann ich Ihnen doch helfen, mein Sohn. Geben Sie mir nur ein paar Tage Zeit.«
    Und die Große Seele hatte wie ein geduldiger Fischer ihr Netz ausgeworfen. Fünf Tage später, am vorhergehenden Abend also, war schließlich ein viel versprechender Fang eingeholt worden. In dem spartanisch eingerichteten Raum im Birla House hatten sich David, Balu sowie zwei weitere Personen um den noch immer sehr schwachen »kleinen Vater« geschart.
    Zunächst gab es da Manu, die Nichte des Mahatma. Sie wachte wie eine Glucke über das Wohlbefinden ihres Onkels und achtete streng darauf, dass nichts und niemand ihren Bapuji überanstrengte. Das für David neue Gesicht in der abendlichen Runde war Jawaharlal Nehru, besser bekannt unter dem Namen Pandit. Nicht nur ein enger Freund und langjähriger Weggefährte des Mahatma, sondern auch dessen Nachfolger auf dem Präsidentenstuhl des Indian National Congress. Außerdem bekleidete der Politiker seit knapp sechs Monaten das Amt des indischen Premierministers.
    In Gandhis Nähe spielten Förmlichkeiten oder Standesunterschiede jedoch bestenfalls eine untergeordnete Rolle. Seine Besucher vergaßen – von seltenen Ausnahmen abgesehen – für kurze Zeit ihre gesellschaftliche Stellung und waren nur noch Freund oder Bewunderer dieses bescheidenen Mannes.
    »Ich entsinne mich da eines gewissen Raja Mehta«, berichtete der Mahatma vergnügt, und als Balu ihm einen strengen Blick zuwarf, präzisierte er: »Mein Erinnerungsvermögen ist durch einen guten Freund aufgefrischt worden. Raja ist ein verirrter Sohn Mohammeds.«
    David runzelte fragend die Stirn.
    »Ihr Engländer würdet ihn einen fanatischen Moslem nennen«, setzte Pandit hinzu.
    An Nehru und den Mahatma gleichermaßen gewandt, fragte David: »Dann glauben Sie also, dieser Raja Mehta sei kein Einzelgänger, sondern ein Erfüllungsgehilfe einer grauen Eminenz?«
    Die Frage wirkte auf die indischen Anwesenden augenscheinlich erheiternd, Gandhi antwortete fröhlich: »Sie befinden sich hier im Land der Gurus, der Sikh-Meister und vieler anderer Heiliger, Mehta ist noch jung und begeisterungsfähig, höchstens fünfundzwanzig Jahre alt. Glauben Sie mir, er ist ein Mitläufer. Und ich bin mir sicher, er dient nicht dem Quaid-I-Azam in Karachi, dem ›großen Führers wie Sie ihn nennen würden. Nein, Mohammed Ali Jinnaah hat die blutigen Unruhen im Fünfstromland immer verurteilt. Mehta gehorcht einem anderen Herrn, jemandem, der ganz eigene Ziele verfolgt, dessen Interessen vielleicht nur zufällig und für eine gewisse Zeit mit denen der Lenker Pakistans übereinstimmen.«
    »Gerade solch einen Mann suche ich. Ich würde mich gerne einmal mit Raja Mehta über seinen Guru unterhalten.«
    David blickte verdrießlich durch die schmutzige Windschutzscheibe auf die Straße hinaus. Mehr als ein staubiges Straßenkind auf dem Rücksitz schien die Suche bisher nicht eingebracht zu haben. Entweder war Mehta gewarnt worden oder…
    »Ich spreche kein Hindi, Baku. Was bedeutet eigentlich Kushtha?«
    Der Inder spielte mit dem Stock zwischen seinen Knien. Er warf einen kurzen, unwirschen Blick über die Schulter, den Abhitha schweigend und durchaus feindselig erwiderte, dann antwortete er: »Das ist der Name für Aussatz in Sanskrit. Wörtlich übersetzt bedeutet es ›zerfressen‹! Ich könnte es dir kaum verzeihen, würden meine Glieder vom Aussatz zerfressen, Sahib.«
    »Deine Glieder werden höchstens von Holzwürmern angenagt«, antwortete David knapp. Bei dem Gedanken an die Lepra schauderte ihn. Mit dem Heer Alexanders des Großen war die Krankheit aus Indien nach Europa gekommen und dort als Aussatz bekannt geworden.
    Balu schwieg für eine Weile. Bei Meile zwölf murrte er: »Bapu hat wirklich genug Probleme am Hals. Du solltest ihm nicht auch noch die Verantwortung für dieses Straßenkind aufbürden, Sahib.«
    »Er muss ja Abhitha nicht gleich adoptieren. Aber ich weiß, wie viel Gutes er schon für die Menschen getan hat. Er braucht nur ein Wort in das richtige Ohr zu sagen und das Mädchen wird wenigstens eine Chance bekommen. Es ist sowieso schon ein Wunder, dass sie auf der Straße so lange überleben konnte.«
    Für einige Minuten kehrte wieder Schweigen ein.
    Es war kurz nach fünf Uhr nachmittags und Birla House, der derzeitige Wohnsitz Mahatma Gandhis, würde bald in Sicht kommen, als sich Balus mahnende Stimme erneut meldete. »Die

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