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Das Geheimnis der Haarnadel

Das Geheimnis der Haarnadel

Titel: Das Geheimnis der Haarnadel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fitzgerald Heard
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Kapitel I
     
    Die Backstein-Zwillinge
     
     
    Nicht anfassen.«
    »Das wollte ich ja gar nicht! Und wenn >Takt< und >taktil< vom gleichen Wort stammen, dann würde Ihnen wohl ein kleinwenig mehr davon gut zu Gesichte stehen!«
    »Ich bin gern bereit, mich im voraus zu entschuldigen, daß ich so vorsichtig bin, aber, sehen Sie, das ist eine ganz besondere Kostbarkeit.«
    »Das sehe ich keineswegs. Was ich sehe, ist ein ganz alltäglicher Gegenstand. Aber ich bin bereit, Ihre Entschuldigung anzunehmen.«
    Jawohl, es war eine der üblichen Silchester-Mycroft-Streitereien. Das Streitobjekt war mit der Vormittagspost gekommen. Ich hatte mich nicht weiter darum gekümmert, bis Mr. M. nachdem er seine sämtlichen Briefe gelesen hatte, sich der kleinen Schachtel zuwandte – die Art von Schachtel, in der man eine Armbanduhr verschickt. Da ich meine Zeitung ausgelesen hatte, machte ich mir das Vergnügen zuzusehen, wie er zu Werke ging – es war, als nähere er sich mit aller Vorsicht einer unbekannten Art von Fliege im Netz. Nachdem er die Schachtel geöffnet und eine Weile hineingestarrt hatte, holte er das berufsübliche Vergrößerungsglas hervor, und dann endlich wurde ich zu Rate gezogen. Ich konnte nicht anders, all diese rituellen Präliminarien der Detektivarbeit amüsierten mich. Denn ich brauchte nur einen einzigen Blick hineinzuwerfen, da drängte sich mir schon der Schluß auf, daß die Sache mit dem Vergrößerungsglas entweder ein purer Reflex war oder eine ihm selbst nicht ganz bewußte Schauspielerei. Was in dem Schächtelchen lag, sorgfältig in Watte gebettet, war ein ganz gewöhnliches kleines Papiermesser aus irgend einem billigen Metall. Es war ein Messer von der Art, die, als spanisches Kunstgewerbe bei zweitklassigen Inneneinrichtern (ein Volk, für das ich, gelinde gesagt, sehr wenig übrig habe) der letzte Schrei war, da es als ein objet d’art galt, das zu den goldgeprägten Ledermöbeln und den schmiedeeisernen Gittern paßte! Vielleicht hatte ich aus Höflichkeit ein gewisses Interesse angedeutet, das ich natürlich nicht wirklich verspürte, und für diese meine Geste des Entgegenkommens war ich nun brüsk vor den Kopf gestoßen worden. Und wenn man sich Mühe gegeben hat, Aufmerksamkeit zu heucheln, dann ist es ärgerlich, wenn man dafür den Vorwurf zu hören bekommt, man mische sich ein. So vermochte denn auch Mr. M.s Beteuerung »Aber es ist wirklich hochinteressant!« meine Kränkung nicht mehr zu lindern.
    Nachdem das Geplänkel mit einem so leichten Geschütz wie dem Vergrößerungsglas mich nicht hatte beeindrucken können, fuhr er nun schwere Artillerie auf, um meine Neugier zu wecken. Das furchterregende Mikroskop kam hervor, mich zu belehren, wie mit solchen Schätzen umzugehen sei – das objet, gewiß nicht d’art, wurde mit einer Pinzette aus der Schachtel gehoben und gründlich von Kopf bis Fuß untersucht. Endlich, als es auf dem heiligen und reinen Objektträger des Mikroskopes lag, gestattete Mr. M. sich die Freiheit, seinen Griff mit einer Stecknadelspitze zu berühren und mit ganz besonderer Sorgfalt das Staubkorn zu examinieren, das sich daran verfangen haben mochte, bevor es den Rang eines >Beweisstücks< angenommen hatte. Dann, um zu sehen, ob mich dieses Schauspiel bereits in einen Rausch der Neugier versetzt hatte, blickte er auf und nickte. Ich sah keinerlei Veranlassung zurückzunicken. Er begriff nun offenbar, daß ich nicht versöhnt war, ließ die Schachtel zuschnappen, trug sie fort wie das Reliquiar eines jüngst begrabenen Heiligen und schloß sie in seinem Schreibtisch ein. Dann endlich schien ihm zu Bewußtsein zu kommen, daß er mit meinem Versuch, ihm Höflichkeit zu erweisen, sehr nonchalant verfahren war, und wandte sich mit seiner einschmeichelndsten Stimme an mich:
    »Wissen Sie was, ich glaube, wir könnten beide einen kleinen Sommerurlaub brauchen. Ich habe mich in den letzten Tagen mit Anzeigen für Häuser beschäftigt, die im August zu vermieten sind und habe zwei im Auge, die beide genau das Richtige für uns sein sollten.«
    Als ich das hörte, >spitzte ich die Ohren<, wie meine Amme zu sagen pflegte. Und dann fügte der verschlagene alte Bursche noch hinzu: »Die beiden, von denen ich hoffe, daß Sie mit mir zusammen einen Blick darauf werfen werden, sind, wenn ich es recht verstehe, Zwillinge – das heißt, sie wurden beide vom selben Architekten im selben Jahr errichtet – ich nehme an, daß sie sich vollständig gleichen. Der Erbauer hat,

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