Der Krieg der Ketzer - 2
Brüstung umgab; sein Wakizashi – selbstverständlich in der zugehörigen Scheide – beschwerte den Stapel, und ein Sonnensegel spendete einen Schattenstreifen, in dem sich Merlin nun gegen die Mauer lehnte und über den Hafen hinausschaute.
Die Außenmauer des jetzt leer stehenden Arbeitszimmers fiel steil bis zum Ende des Kais ab, und das Wasser, auf das Merlin nun hinunterblickte, leuchtete geradezu schmerzhaft blau; dort, wo der Meeresgrund zum Ufer hin immer weiter anstieg, ging dieses Blau in ein ähnlich leuchtendes Grün über. An diesem Tag wehte kaum eine Brise, nicht einmal ein Stück weit über dem Meer. Sanfte Wellen rollten über das sonnenbeschienene Wasser hinweg, und sechs oder sieben Kinder in einer kleinen Barkasse mit vier Rudern hielten langsam, wenn auch mit nicht sonderlich gleichmäßigen Ruderschlägen – und auch nicht sonderlich gerade –, auf das Kai zu. Die Angelruten, die in verschiedenen Winkeln aus dem Boot herausragten, verrieten deutlich, womit sie sich beschäftigt hatten, und Merlin verspürte so etwas wie Sehnsucht in sich aufkommen, als er sich an die Angelausflüge in Nimues Kindheit erinnerte.
Das Boot war immer noch fast einhundert Meter weit vom Kai entfernt, doch das sieben- oder achtjährige Mädchen auf der vordersten Ruderbank schaute zu Merlin hinauf und winkte ihm zu.
Er winkte zurück, dann wandte er dem Hafen den Rücken zu, als Cayleb sich erhob und sich zu ihm in den Schatten gesellte.
»Ich wäre nie auf die Idee gekommen«, fuhr Merlin ihr Gespräch fort, »dass es möglich sein könnte, die Drehzapfen auch an bereits existierenden Kanonen anzubringen.«
Cayleb stieß einen zustimmenden Grunzlaut aus. Auf dem Dach lag ein interessantes Gemisch verschiedenster Gegenstände − vermutlich Dinge, die andere Sonnenbadende und Angler hier zurückgelassen hatten. Der Prinz hob fasziniert eine Augenbraue, als er die Harpune entdeckte, die in einer Ecke aufgestellt war. Er hob sie an, probierte fast ein wenig träge aus, ob die Waffe auch gut ausbalanciert sei, dann blickte er zu Merlin hinüber.
»Wie hattet Ihr das gestern noch ausgedrückt?«, fragte er. »›Über den Tellerrand schauen‹, nicht wahr?« Merlin nickte, und der Prinz zuckte mit den Schultern. »Na ja, ich denke, wir sollten dankbar sein, dass Howsmyn so gut darin ist.«
»Das ist noch milde ausgedrückt, Euer Hoheit«, sagte Merlin und grinste, dann wandte er sich wieder der Barkasse zu. Erneut winkte ihm das Mädchen zu, und Merlin lachte leise.
Cayleb hat recht, dachte er. Ehdwyrd Howsmyn hatte das Problem von einem völlig neuen Standpunkt aus betrachtet. Er hatte darauf hingewiesen, dass die Kanone, die in der Royal Charisian Navy nur als ›Kraken‹ bezeichnet wurde – eine Kanone mit einem Durchmesser von sechseinhalb Zoll und etwa elf Fuß Länge, die eine Kugel von fast fünfunddreißig Pfund Gewicht abfeuerte –, fast dem entsprach, auf das sich Merlin und Captain Seamount als ›Sollwert‹ geeinigt hatten. Zudem war es am ehesten eine großkalibrige ›Standard-Kanone‹ − und das bedeutete, dass sie in größerer Stückzahl verfügbar war als die meisten anderen.
Es gab noch weitere, einige davon waren noch deutlich schwerer – etwa der ›Todeswal‹: Diese Waffe wog mehr als viereinhalb Tonnen, und ihre Kugeln wogen je zweiundsechzig Pfund. Sogar noch massiger war der ›Große Todeswal‹, ein Sechstonnen-Ungeheuer, dessen Geschosse ganze fünfundsiebzig Pfund wogen.
Doch diese Waffen waren viel zu schwer für den beabsichtigten Einsatz. Letztendlich würde man sie alle einschmelzen müssen, um sie dann durch Waffen sinnvollerer Größe zu ersetzen, doch derzeit waren sie alle völlig nutzlos.
Nun hatte Howsmyn vorgeschlagen, die ›Kraken‹ zum Standard zu machen und bei so vielen, wie sie nur konnten, einen Eisenstreifen um den Lauf der Kanonen befestigen zu lassen. Dann würde eben dieser Streifen mit dem Drehzapfen verbunden werden, und das ließ sich deutlich schneller bewerkstelligen, als wenn man vollständig neue Kanonenrohre gießen und bohren müsste. Natürlich würde diese Konstruktion dann nicht ganz so stabil werden, als wenn die Drehzapfen tatsächlich mit dem Lauf selbst verbunden würden, doch als Provisorium würde es voll und ganz ausreichen – und je nachdem, wie es zeitlich machbar war, würden dann nach und nach die Kanonen tatsächlich eingeschmolzen und neu gegossen werden können.
Eine perfekte Lösung war das natürlich nicht. Der Vorrat
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