Der Krieg der Ketzer - 2
der erst nach ganzen siebzig Schritt endete.
Einer der Kraken reckte sich so weit aus dem Wasser, dass fast zwei Drittel seiner Körperlänge zu sehen waren; er stemmte sich auf seinen Schwanz, und seine Tentakel ließen nun sein zerfleischtes Opfer los, als die Harpune ihn traf. Nein, begriff Cayleb dann, die Waffe hatte ihr Ziel nicht nur getroffen; sie hatte den massigen Leib aus kräftigen Muskeln und schweren Knochen vollständig durchschlagen.
Zumindest einer der anderen Kraken stürzte sich auf seinen Gefährten, als dessen Blut nun das Wasser färbte. Doch Cayleb hatte das Gefühl, ihm erfriere das Herz, als er sah, wie ein weiteres der schreienden Kinder – dieses Mal ein Mädchen – für alle Zeiten in diesem brodelnden, blutigen Mahlstrom des Schreckens verschwand, der diesen einst so friedlichen Hafen erfasst hatte.
Und dann nahm er aus dem Augenwinkel eine weitere Bewegung wahr und streckte voller Entsetzen die Arme aus. Doch es war zu spät, noch irgendetwas zu verhindern: Merlin war bereits auf die Brüstung getreten und sprang nun auf das Wasser zu – das mehr als dreißig Fuß unter ihnen lag.
In unglaublicher, unmöglicher Art und Weise schien sich die Zeit selbst zu dehnen, so schnell der Augenblick in Wirklichkeit auch vergehen mochte. Der Kronprinz sah alles, er begriff genau, was hier geschah, und doch war er dazu verurteilt, nur Zuschauer zu sein. Fassungslos musste er mit ansehen, wie Merlin nun in einem unmöglichen Bogen auf das Wasser zustürzte. Er flog fast zwanzig Schritt weit, bevor er das Wasser erreichte. Merlin befand sich schon mitten in der Luft, bevor er selbst begriff, was er da eigentlich gerade tat – und da war es für ein Umdenken wohl ein wenig zu spät. Er schlug auf die Wasseroberfläche auf, tauchte dann tief ein, trotz seiner flachen Flugbahn. Ein Mensch aus Fleisch und Blut hätte wieder auftauchen müssen, um sich neu zu orientieren – vom ›Luftholen‹ ganz abgesehen –, doch Merlin war ein PICA. Sein eingebauter Sonar verriet ihm genauestens, wo sich das Boot, die kreischenden, wild um sich schlagenden Kinder und die Kraken befanden, und mit kräftigen Beinschlägen steuerte er nun auf das Chaos zu; seine Bewegungen waren so heftig und so schnell, dass kein gewöhnlicher Mensch es ihm hätte gleichtun können.
Ohne auch nur bewusst darüber nachzudenken, riss er sein Wakizashi aus der Scheide. Dann umklammerte er mit beiden Händen das Heft und presste die Siebzehn-Zoll-Klinge dabei fest gegen den rechten Unterarm, um den Widerstand im Wasser zu minimieren, während er durch die Fluten jagte. Er brauchte weniger als zwanzig Sekunden, um die gekenterte Barkasse zu erreichen. Zwanzig Sekunden, in denen der Krake, den Merlin harpuniert hatte, sich aus dem Griff seines angreifenden Gefährten hatte befreien können und dann mit ungleichmäßigen, zuckenden Bewegungen tiefere Gewässer aufsuchte. Zwanzig Sekunden, in denen ein drittes Kind schreiend in die Tiefe gezerrt worden war.
Doch dann hatte Merlin sie erreicht.
Die Kinder, die diesen Angriff bislang überlebt hatten, ruderten wie wild mit Armen und Beinen, versuchten verzweifelt, auf den Rumpf des gekenterten Bootes zu klettern, um noch einige Sekunden lang in Sicherheit zu sein. Ein älterer Junge ergriff eines der kleineren Mädchen und schleuderte es regelrecht auf den glitschigen, nassen Bootsrumpf, obwohl gleichzeitig einer der beiden verbliebenen Kraken mit todbringend grazilen Bewegungen auf ihn zujagte. Tentakel wurden ausgestreckt, schnellten wie angreifende Schlangen auf den Jungen zu. Einer umfasste seinen Knöchel und riss das Bein auf ein zahnbewehrtes Maul zu, doch dann schloss sich eine Menschenhand seinerseits um den Tentakel. Mit der Kraft eines Hydraulik-Schraubstocks griff sie zu, und ein Wakizashi aus Panzerstahl fuhr in den Schädel des Kraken, an einem Punkt unmittelbar hinter den hervorgewölbten Augen des Tieres. Bis zum Heft versank die Waffe: Mühelos durchtrennte die unmögliche, widernatürlich scharfe Klinge Knochen, Knorpelgewebe und Muskeln.
Die Bewegung des Kraken trug noch zur Wucht des Schlages bei, den der PICA diesem Meeresungetüm versetzte; das Wakizashi wurde tiefer und tiefer in den Leib hineingetrieben, bis durch das Gehirn hindurch; in einer Blutwolke trat die Waffe durch das geöffnete Maul wieder aus. Die Tentakel, die sich im Todeskampf um den Knöchel des Jungen verkrampft hatten, hätten ihn zusammen mit dem immer noch zuckenden Kadaver des Kraken
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