Der Krieg, der viele Vaeter gatte
sie in den 50er Jahren als die amtliche Dokumentation des Auswärtigen Amts in Bonn veröffentlicht worden sind. Erst später fiel mir auf, daß diese Nachkriegsausgabe der Akten des deutschen Auswärtigen Amts von amerikanischen, englischen und französischen Wissenschaftlern und Archivaren herausgegeben worden ist. Es darf nicht wundern, daß die Akten dabei zu Gunsten der Sieger ausgewählt und auch „gewaschen" worden sind. So fehlt in diesem Nachdruck zum Beispiel die erste offizielle Drohung, wegen Danzig Krieg zu führen. Sie wurde im März 1939 vom polnischen Botschafter in Berlin ausgesprochen, noch ehe Hitler der Wehrmachtsführung den Befehl gab, einen Krieg gegen Polen vorzubereiten. Es gibt jedoch die Veröffentlichung der selben Dokumente aus dem Jahre 1939 (AA 1939), die diese Drohung noch enthält 1 . Aber auch diese Vorkriegs-Dokumentensammlung ist nicht ohne Haken. Sie läßt, genauso wie das „British War Bluebook" und die vergleichbaren Dokumentationen anderer Nationen, viele Briefe und Protokolle unerwähnt, wenn sie die entsprechenden Regierungen belasten. So fand ich in den Memoiren und Dokumenten Auslassungen, Überarbeitungen, Fälschungen und pro-domo-Interpretationen.
An der deutschen Literatur war für mich verwirrend, daß die erste Geschichtsschreibung nach dem Kriege unter gesetzlichen Auflagen erarbeitet worden ist, die der Forschung Grenzen auferlegten. Im Überleitungsvertrag von 1954, Artikel 7 (1) ist verbindlich festgelegt gewesen, daß „deutsche Gerichte und Behörden ... alle Urteile und Entscheidungen" aus den Nürnberger Prozessen „in jeder Hinsicht als rechtskräftig und rechtswirksam ... zu behandeln haben." Zu den Entscheidungen des Gerichts gehörten die „Feststellungen" zum Ablauf der Ereignisse, die zum Kriege führten. Sie stehen in den Urteilsbegründungen. Die Urteile konnten nach Maßgabe des Gerichts auch ohne Beweiserhebung oder gegen die Beweisführung der Verteidigung zustande kommen. Dadurch waren der subjektiven Sicht der Siegermächte Tür und Tor geöffnet und die besiegten Deutschen per Gerichtsbeschluß verpflichtet, diese Sicht zu übernehmen. Zu den Behörden, die diese so zustande gekommenen „Feststellungen" in jeder Hinsicht als rechtswirksam zu behandeln haben, gehören die Kultusministerien der Länder, die die Aufsicht über den Inhalt der Geschichtsbücher an den Schulen führen. Die forschenden Beamten sind per Diensteid an diesen Artikel 7 des Deutschlandvertrags gebunden und damit an eine Lesart von „Geschichte" , die in Nürnberg verbindlich festgeschrieben worden ist.
In AA 1939, Nr. 2, Dokument 208 mit polnischer Kriegsdrohung und in ADAP, Serie D, Band VI Dokument 101 (von 1956) ohne diese Drohung.
Artikel 19 und 20 der Statuten des Nürnberger Militärtribunals. Siehe ITM, Band I, Seiten 7-9
Nun könnte man sagen, daß der Überleitungsvertrag und das Jahr 1954 selber schon Geschichte sind. Doch 1990 wurde die Bindekraft der Urteile des Nürnberger Prozesses per Vertrag ein weiteres Mal verlängert. 1990 wurde der Überleitungsvertrag durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag abgelöst, und die Siegermächte bestanden dabei darauf, daß der besagte Artikel 7 (1) des Vertrags von 1954 weiterhin Bestand hat. In der „Vereinbarung vom 27728. September 1990 zum Deutschlandvertrag und zum Überleitungsvertrag", die den Zwei-plus-Vier-Vertrag begleitet, wurde das noch einmal von deutscher Seite schriftlich zugesichert. So weiß man als Leser heute nicht, wo Historiker und Autoren aus der frühen Bundesrepublik gesetzestreu die Siegerlesart der Geschichte zu Papier gebracht und nachfolgenden Historikern und Autoren als irreführendes Erbe hinterlassen haben.
Angesichts einer so facettenreichen Literatur- und Quellenlage sollte es den Leser dieses Buches nicht erstaunen, daß das Bild der Zeit zwischen den beiden großen Kriegen, das sich mir erschlossen hat, zum Teil von dem abweicht, was sonst in Deutschland Allgemeingut ist.
Nun zur dritten Vorbemerkung. Ich erhebe nicht den Anspruch, die Tausende von Büchern gelesen und verarbeitet zu haben, die zum Thema meines Buchs bereits geschrieben worden sind und die neuesten wissenschaftlichen Publikationen dazu zu kennen. Mein Anliegen ist es, die Geschichte, die zum Zweiten Weltkrieg führt, in begreifbare Zusammenhänge zu stellen und sie gut lesbar zu erzählen. Ich hoffe, daß dies besonders jüngeren Lesern bei ihrer Suche nach einem eigenen Urteil zur Geschichte hilft.
Als vierte
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