Fuer alle Faelle Emma
1. Kapitel
Nackig? Nie im Leben!
mma!«, rief Mama aus dem Bad. »Kannst du mal ans Telefon gehen?«
Ich stand gerade im Flur vor dem Spiegel und schnitt mir selbst Grimassen. Das mache ich manchmal, wenn mir langweilig ist oder ich auf jemanden warte. So wie in diesem Moment auf Mama.
Als das Telefon nicht aufhörte zu klingeln, lief ich ins Wohnzimmer und nahm den Hörer ab.
»Wer stört?«, fragte ich.
Einen Augenblick war es still, dann sagte eine Frauenstimme: »Entschuldigung, aber ich rufe wegen der Anzeige an. Ist der Job noch zu haben?«
»Was für ein Job?«, fragte ich verwirrt. »Und was für eine Anzeige?«
»Die Anzeige in der Zeitung«, erklärte die Frau. »Ich hätte Interesse. Allerdings habe ich so etwas noch nie gemacht. Muss man sich wirklich ganz ausziehen?«
»Ausziehen?«, rief ich. »Kommt gar nicht infrage! Hier zieht sich niemand aus! Wir sind doch kein Stripteaselokal! Ich glaube, Sie haben sich verwählt!« Ich warf den Hörer auf die Gabel und ging kopfschüttelnd zurück in den Flur. Die Leute wurden wirklich immer verrückter!
Die Klospülung rauschte, und Mama kam aus dem Badezimmer. »Wer war denn dran?«
»Keine Ahnung. Irgendeine Perverse. Sie wollte herkommen und sich ausziehen.« Ich griff nach meiner Jacke. »Können wir jetzt endlich los?«
Mama starrte mich einen Moment lang ungläubig an, dann fing sie an zu lachen. »Das war keine Perverse! Das war bestimmt jemand, der sich auf die Anzeige gemeldet hat.«
»Was denn für eine Anzeige, verdammt noch mal?«, rief ich. Ich hasse es, ausgelacht zu werden. Vor allem, wenn ich nicht weiß, warum.
»Du sollst nicht immer fluchen«, sagte Mama automatisch. Dabei flucht sie selbst auch öfter. »Ich hab dir doch erzählt, dass nächste Woche mein Malkurs beginnt. Und dafür suche ich noch Aktmodelle.«
Jetzt ging mir ein Licht auf. Mama hatte tatsächlich so etwas erwähnt, aber das hatte ich komplett vergessen.
Meine Mutter gibt Malkurse an der Volkshochschule. Und seit einiger Zeit auch bei uns zu Hause in Tupfingen. Sie hat hier nämlich zusammen mit ihrer besten Freundin Gesa ein Gesundheitszentrum eröffnet. Es heißt »Ganzheitliches Gesundheitszentrum – Leben im Einklang mit der Natur«. Gesa gibt Kurse für gesundes Kochen, Vollwerternährung und Yoga. Sie hat einen richtigen Biotick und isst nur Körner und andere gesunde Sachen. Außerdem turnt sie jeden Morgen in aller Herrgottsfrühe draußen auf der Apfelwiese herum und macht ihre komischen Yoga-Verrenkungen. Ziemlich verrückt, wenn ihr mich fragt. Aber davon abgesehen ist sie eigentlich ganz in Ordnung.
Gesa wohnt bei uns, seit meine Eltern kurz vor den Sommerferien eine Beziehungskrise hatten und Papa ausgezogen ist. Ihre Tochter Mona Lisa hat sie gleich mitgebracht. Und mit Mona ist auch ihr Kaninchen Stinki-Pinki bei uns eingezogen. Darum stinkt es bei uns jetzt immer nach Kaninchenkacke. Erst fand ich das ganz schön eklig, aber inzwischen habe ich mich halbwegs daran gewöhnt.
Mama ist beim Gesundheitszentrum für die kreative Seite zuständig. Das bedeutet, dass sie Kurse in Ausdrucksmalen, Ölmalerei und Aktzeichnen anbietet. Dabei sollen sich die Leute von ihrem Alltagsstress erholen und »wieder zu sich selbst finden«. Das sagt zumindest Gesa immer. Keine Ahnung, was das heißen soll. Um sich zu finden, muss man sich schließlich erst mal verloren haben. Und wie soll das bitte schön funktionieren? Dann müsste man doch an zwei Stellen gleichzeitig sein, oder? Also ehrlich, das ist mir zu hoch. Aber Gesa redet oft komisches Zeug, das kein Mensch versteht. So ist sie nun mal.
»Wie hieß denn die Frau?«, fragte Mama und nahm ihren Mantel von der Garderobe. »Wollte sie noch mal anrufen?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Hat sie nicht gesagt.«
Mama seufzte. »Wenn noch mal jemand wegen der Anzeige anruft, schreibst du bitte den Namen auf, okay? Ohne Aktmodell bin ich nächste Woche nämlich ganz schön aufgeschmissen.«
»Warum zeichnet ihr nicht einfach etwas anderes?«, schlug ich vor. »Eine Blumenvase zum Beispiel. Oder Paul.«
Paul ist unser Hund. Er ist sehr schlau. Als er seinen Namen hörte, kam er sofort aus der Küche und blieb schwanzwedelnd vor uns stehen.
»Das geht nicht«, sagte Mama. »Schließlich ist es ein Aktmalkurs, da erwarten die Leute, dass ein Aktmodell da ist. Sie wären bestimmt enttäuscht, wenn wir stattdessen nur Paul zeichnen würden.« Sie beugte sich zu Paul hinunter und kraulte
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