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Der Krieg der Welten

Der Krieg der Welten

Titel: Der Krieg der Welten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. G. Wells
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sei, und sahen dichte Rauchwolken gegen Sliden - nichts als Rauch; keine lebende Seele kam des Weges. Dann hörten wir die Geschütze in Chertsey, und die Leute kamen aus Weybridge. So schloß ich denn mein Haus ab und ging fort." Zu jener Zeit herrschte ein starkes Gefühl der Erbitterung auf den Straßen. Man tadelte die Behörden wegen ihrer Unfähigkeit, der fremden Eindringlinge ohne alle diese Umstände Herr zu werden. Um acht Uhr etwa erscholl im ganzen Süden Londons heftiges Geschützfeuer. Bei dem großen Lärm auf den Hauptstraßen konnte es mein Bruder nicht hören, aber als er sich durch die stillen Nebengassen zum Fluß durchschlug, hörte er es ganz deutlich. Es war zehn Uhr geworden, als er von Westminster zu seiner Wohnung am Regent's Park zurückkehrte. Er war jetzt schon sehr besorgt um mich und durch die sichtliche Tragweite dieser Ereignisse ganz verstört. Es drängte ihn plötzlich, sich in Gedanken mit kriegerischen Einzelheiten zu beschäftigen, genauso wie auch ich mich am Samstag damit beschäftigt hatte. Er dachte an alle jene in erwartungsvoller Ruhe harrenden Geschütze, an jenen plötzlich in einen Nomadenbezirk verwandelten Landstrich. Er bemühte sich, hundert Fuß hohe "Kessel auf Stelzen" sich vorzustellen. Einige Karren, besetzt von Flüchtlingen, fuhren die Oxford Street entlang, manche auch in der Marylebone Road. Aber so langsam verbreiteten sich die Nachrichten, daß die Regent Street und die Portland Road von jenen Leuten, die auch sonst Sonntag nachts dort lustwandelten, voll waren. Wohl standen auch Gruppen lebhaft diskutierender Menschen umher. Aber am Rande des Regent's Park ergingen sich so viele stille Pärchen im Licht der spärlichen Gaslampen, wie man dort immer zu sehen pflegte. Die Nacht war still und warm, fast ein wenig drückend; gelegentlich scholl der Lärm der Geschütze herüber, und nach Mitternacht bemerkte man ein Wetterleuchten im Süden.
    Mein Bruder las immer wieder das Zeitungsblatt und fürchtete schon, daß mir das Schlimmste zugestoßen sei. Er war rastlos, und nach dem Abendbrot ging er wieder aus und trieb sich ziellos umher. Dann kehrte er zurück und versuchte, seine nagenden Gedanken durch seine Prüfungsschriften zu verscheuchen. Bald nach Mitternacht ging er zu Bett, wurde aber in den ersten Morgenstunden des Montags durch Türklopfer, Fußgetrappel auf den Straßen, Getrommel und Glockenläuten aus einem düsteren Traum geschreckt. Ein roter Widerschein spielte auf der Decke. Einen Augenblick blieb er betäubt liegen und fragte sich, ob der Tag schon angebrochen oder die Welt verrückt geworden sei. Dann sprang er aus dem Bett und eilte ans Fenster. Sein Zimmer war eine Dachkammer; und als er den Kopf zum Fenster hinaussteckte, vernahm er die Straße hinauf und hinab einen dutzendfachen Widerhall des Lärmes, den das öffnen seiner Fenster hervorrief; und Köpfe in allen Spielarten nächtlicher Verstörtheit tauchten auf. Überall wurden fragende Rufe laut:
    "Sie kommen!" brüllte ein Schutzmann, indem er auf das Tor loshämmerte. "Die Marsleute kommen!" Dann eilte er weiter zum nächsten Tor.
    Der Lärm von Trommeln und Trompeten scholl von der Kaserne in der Albany Street herüber; und in jeder Kirche in Hörweite war man damit beschäftigt, den Schlaf durch regelloses Sturmläuten zu töten. Man vernahm das Geräusch sich öffnender Tore, und in den gegenüberliegenden Häusern flammte ein Fenster nach dem andern in gelbem Licht auf.
    Eine geschlossene Kutsche kam die Straße heraufgesprengt. Dicht auf dem Fuße folgten zwei Mietwagen, der Vortrab einer langen Reihe rasender Wagen, die zum größten Teil nach der Chalk Farm Station eilten, wo die North-Western Sonderzüge die Reisenden aufnahmen, und wo man die Steigung zur Euston Station vermeiden konnte.
    Lange Zeit starrte mein Bruder in dumpfer Betäubung aus dem Fenster; er sah dem Schutzmann nach, wie er auf ein Haustor nach dem andern hämmerte und sich seiner unverständlichen Botschaft entledigte. Da öffnete sich die Zimmertüre meines Bruders, und der Mann, der jenseits der Treppe wohnte, kam herein. Er war noch in Hemd, Beinkleidern und Pantoffeln, die Hosenträger hingen lose herab, und sein Haar war noch wirr vom Schlaf.
    "Was zum Teufel ist denn los?" fragte er. "Ein Feuer? Der Teufel hole diesen Radau!"
    Beide steckten ihren Kopf weit aus dem Fenster, eifrig bemüht, zu verstehen, was eigentlich der Schutzmann rief. Aus den Seitengassen kamen Leute heraus, die in eifrig

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