Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Krieg der Welten

Der Krieg der Welten

Titel: Der Krieg der Welten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. G. Wells
Vom Netzwerk:
schwatzenden Gruppen umherstanden.
    "Was zum Teufel soll denn das alles bedeuten?" fragte der Nachbar meines Bruders. Mein Bruder antwortete nur so obenhin und begann sich anzuziehen. Mit jedem Kleidungsstück eilte er ans Fenster, um nur ja nichts von der wachsenden Erregung der Straßen zu versäumen. Auf einmal tauchten Leute auf, die ganz frühe Zeitungsblätter verkauften und mit ihrem Gebrüll die Straße erfüllten.
    "London in Erstickungsgefahr! Die Schanzen von Kingston und Richmond erstürmt! Furchtbare Massaker im Themsetal!"
    Und rings um ihn herum - in den Zimmern unten, in den Häusern nebenan und gegenüber, und hinten in den Park Terraces und in den hundert Gassen jenes Teiles von Marylebone, und im Westbourne Park Bezirk und in St. Pancras, und westlich und nördlich in Kilburn und St. John's Wood und Harnpstead, und östlich in Shoreditch und Highbury und Haggerston und Haxton und mehr noch, durch das ganze Riesengewirr Londons hin von Ealing bis East Ham - neben sich die Leute die Augen und öffneten ihre Fenster, um hinauszustarren und zwecklose Fragen zu stellen, und kleideten sich hastig an, als der erste Windstoß, der dem kommenden Sturm der Angst voranging, durch die Straßen fuhr. Es war der Anfang einer großen Panik. London, das Sonntag nachts schlaff und stumpf schlafen gegangen war, erwachte nun in den ersten Stunden des Montagmorgens mit einer starken Empfindung der Gefahr.
    Außerstande, von seinem Fenster aus zu erfahren, was eigentlich vorgefallen sei, ging mein Bruder hinab und trat auf die Straße hinaus, gerade als die Morgendämmerung die Wolken zwischen den Firsten der Häuser rosig färbte. Die fliehende Menge zu Fuß und im Wagen wurde jeden Augenblick zahlreicher. "Schwarzer Rauch!" hörte er die Leute rufen, immer wieder "Schwarzer Rauch!" Die Ansteckung durch eine so einmütig gefühlte Furcht war unvermeidlich. Als mein Bruder an der Torschwelle zögerte, sah er einen anderen Zeitungsverkäufer herankommen und kaufte ihm ein Blatt ab. Der Mann eilte mit seiner Ware wieder weiter und verkaufte die Blätter zu einem Shilling das Stück - ein groteskes Gemisch von Habgier und Angst.
    Und in dieser Zeitung las mein Bruder jene verhängnisvolle Meldung des Oberkommandanten: "Die Marsleute sind imstande, vermittels einer Art von Raketen ungeheure Wolken eines schwarzen und giftigen Dampfes zu versenden. Sie haben unsere Batterien erstickt, Richmond, Kingston und Wimbledon zerstört und rücken nun langsam gegen London vor, indem sie unterwegs alles vernichten. Es ist unmöglich, sie aufzuhalten. Es gibt keine andere Rettung vor dem schwarzen Rauch als unverzügliche Flucht."
    Das war alles, aber es war genug. Die ganze Bevölkerung der Sechsmillionenstadt schreckte auf, lief und stürzte in tollem Wirrwarr durcheinander; in kurzem würde sie sich wohl in Massen nordwärts ergießen.
    "Schwarzer Rauch!" hallte es von allen Seiten. "Feuer!"
    Die Glocken der benachbarten Kirche läuteten schrill, ein achtlos gelenkter Karren zerschellte unter Schreien und Fluchen an einem Wassertrog auf der Straße. Matte Lichter tanzten auf und ab in den Häusern, und auf manchen der vorübereilenden Droschken schienen noch die unausgelöschten Laternen. Und zu Häupten hellte sich die Dämmerung auf, klar und ruhig und mild. Mein Bruder hörte in den Stuben und hinter ihm treppauf und treppab eilige Schritte. Seine Vermieterin, nur in einen Schlafrock und in einen Schal gehüllt, kam ans Tor; ihr Mann folgte fluchend.
    Als mein Bruder anfing, sich die Bedeutung aller dieser Dinge klarzumachen, ging er hastig auf sein Zimmer zurück, steckte alles vorrätige Geld - alles in allem etwa zehn Pfund - in seine Tasche und trat wieder hinaus auf die Straße.
     

15. Was in Surrey geschah
     
    Während der Kurat dasaß und an der Hecke auf der flachen Wiese bei Halliford verwirrte Reden führte, während mein Bruder den Flüchtlingen zusah, wie sie über die Westminster Bridge strömten, hatten sich die Marsleute zum Angriff entschlossen. Soweit man aus den widersprechenden Berichten, die darüber abgefaßt wurden, klug werden kann, blieb die Mehrheit eifrig mit Vorbereitungen beschäftigt bis neun Uhr abends in der Horsell-Grube. Sie arbeiteten mit großer Hast und produzierten riesige Mengen grünen Rauches.
    Gewiß aber ist, daß drei Marsleute etwa um acht Uhr aus der Grube herauskamen und, langsam und behutsam vorrückend, sich ihren Weg durch Byfleet und Pyrford nach Ripley und Weybridge bahnten.

Weitere Kostenlose Bücher