Der Krieg der Zwerge
bewunderte, welche Farbvielfalt durch das Mischen verschiedener Blutarten entstand. Sie erkannte das nichts sagende Menschenblut, die unterschiedlichen Grüntöne der Orks und ihrer Verwandten, das helle Elbenblut und das kräftigdunkle der Unterirdischen.
Sie wusste, dass es keine leichte Sache war, mit dem Lebenssaft zu malen. Er gerann schnell und konnte nur durch die Zugabe von bestimmten Kräutern und Essenzen flüssig gehalten werden. Ihre Mutter hatte die Kunst perfekt beherrscht. Seit ihrem Tod in Grünhain blieb die Staffelei in ihrem Haus verwaist, denn sie und ihre Schwestern rührten die Pinsel nicht an.
»Geh weiter.« Ihr Begleiter legte seine Hand auf die ihre und setzte den Weg fort.
Bald darauf konnte sie den Palast des geschwisterlichen Herrscherpaars verlassen. Ächzend schoben sich die Tore aus Steinholz auf, donnernd schlossen sie sich hinter ihr. Das gewittergleiche Rumpeln hallte nach, dann war es still.
Die Albin ging über den großen, leeren Platz; unter ihren Stiefelsohlen rieben die perlengroßen Knochenstückchen leise knirschend aneinander. Sie waren aus den Überresten ihrer Feinde gefertigt; die Gebeine von Elben, Zwergen, Menschen und Kreaturen Tions aller Art dienten dazu, das Laufen auf dem Platz sowie auf allen Straßen und Gassen Dsôns so angenehm wie möglich zu machen. Ausgeblichen von der Sonne des Geborgenen Landes, bildeten sie einen sehenswerten Kontrast zu den dunklen Gebäuden.
Ondori hatte den Rand des Plateaus erreicht. Der Abendwind fuhr durch ihre dunkelbraunen Haare und spielte mit dem Stoff ihrer Augenmaske.
Dsôn lag inmitten eines Kraters von zehn Meilen Durchmesser und zwei Meilen Tiefe.
Die Legende besagte, dass eine schwarze Träne ihrer Schöpferin Inàste ins Geborgene Land gefallen sei und es zerfressen habe. Die Elben der Goldenen Ebene hatten erfolglos versucht, den Krater zuzuschütten, und als ihr Volk die Elben vernichtete, errichtete es aus all der Erde einen Berg von etwas mehr als drei Meilen Höhe, auf dem der titanische Knochenpalast des geschwisterlichen Herrscherpaars stand.
Ondoris Blick wanderte über die Gebäude ihrer Heimatstadt, die aus Schwarzholz errichtet worden war. Es war so belastbar, dass man sieben Stockwerke ohne Schwierigkeiten übereinander setzen konnte; erst bei größeren Höhen bedurfte es einer Steinwand als Fundament.
Diese Härte erlaubte es den Baukünstlern, die anmutigsten Formen zu entwerfen. Einfallslose Kästen wie die, in denen die Menschen zu hausen pflegten, gab es hier nicht. Symmetrisch gestaltete Ecken, grazile Ausbuchtungen, anmutige Einschübe, verschnörkelte Anbauten, sich ineinander drehende Turmstücke und Halbkugeln breiteten sich zu ihren Füßen aus und schufen ein finsteres Ganzes, in dem das Weiß der Wege verstohlen leuchtete. Auch hier setzten silberne Einlegearbeiten, Schmucksteine und Tionium besondere Akzente, andere Steine und Legierungen begannen erst zu leuchten, wenn das Licht der Sterne und des Mondes auf sie fiel. Nachts sah Dsôn noch herrlicher aus.
Es wäre schade, wenn wir das alles aufgeben und unser Zuhause gegen die Steinwände des Gebirges eintauschen müssten, dachte sie und schaute wehm ütig zu dem schroffen Kraterrand, hinter dem die Sonne blutrot versank.
Ondori wandte sich um und hob den Kopf, um hinauf zur Spitze des turmförmigen, verspielt gebauten Palasts zu sehen, dessen äußere Hülle ganz aus Knochen bestand.
Sie sah kleine, große und gigantische Knochen, die von Menschen, Ogern, Orks, Riesen und Drachen stammten; darunter befanden sich auch Stücke, die zu keiner bekannten Kreatur passen wollten und selbst diejenigen der Drachen überragten. Sie alle bildeten den 100 Schritt hohen Sockel, fügten sich kunstvoll in und aneinander. Schnitzer hatten Statuen und Szenen aus ihnen angefertigt, und sobald sie zu morsch und porös wurden, wurden sie durch neue ersetzt. Da es ihrem Volk nicht an Feinden mangelte, galt der Fortbestand des Palasts als ges ichert.
Die anschließenden 800 Schritt bis zur schlanken Spitze des Turms bestanden aus reinem Elbenbein, gewonnen aus den knöchernen Überresten der vernichteten Elbenvölker des Geborgenen Landes.
Im Schein der untergehenden Sonne wechselte es die Farbe, schimmerte honigfarben, dann orange und schließlich dunkelrot wie Zwergenblut. Ondori liebte den Anblick.
»Du lebst? So dürfen auch wir auf die Gnade der Geschwister hoffen«, sagte die Stimme ihres Freundes Estugon hinter ihr.
Ondori lächelte und drehte sich um.
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