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Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka , Matthias Mösch , Alexander Flory
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Bemerkungen der Dockarbeiter, denen auffiel, dass der Gentleman, den sie beobachteten, seinem Aussehen nach wohl gerade eine schlimmere Kneipenschlägerei hinter sich gebracht hatte, als sie jemals erlebt hatten.
    In der Bond Street bog ich in die Burlington Arcade ein und studierte die Schuhe und Kleider in den Schaufenstern, aber als mir klar wurde, dass ich mir noch nicht mal ansatzweise vorstellen konnte, wie Ada wohl darin aussehen würde, sah ich ein, wie absurd mein Besuch war. Ohnehin waren die meisten Läden geschlossen, wegen des Feiertags, und seit ich die Arcade betreten hatte, war mir ein Beadle, einer der privaten Sicherheitsleute der Ladenbesitzer, gefolgt, der mich misstrauisch beäugte. Das konnte ich ihm nachsehen, immerhin hatte ich seit über vierundzwanzig Stunden meine Kleidung nicht mehr gewechselt, kein Bad genommen und meine Blessuren noch nicht verarztet. Trotzdem behandelte mich alle Welt so zuvorkommend, als trüge ich Prinz Alberts feinsten Zwirn für den Besuch des Pferderennens in Ascot. Ich war dankbar für diesen wenn auch noch so kleinen und beiläufigen Beleg, dass die englische Art und das britische Imperium nicht nur auf Geistesabwesenheit und Zufall beruhten.
    Danach bummelte ich zurück zum Tower, wo ich die Beefeater auf ihrer Patrouille beobachtete. Ich fragte mich, ob an dem Gerücht, bei den Kronjuwelen im Tower, die die Beefeater bewachten, handle es sich um Imitate, wohl etwas dran war. Ich hatte mir noch nie Gedanken darüber gemacht, ob dieses Symbol des britischen Weltreiches nun echt oder falsch war. Aber nun fragte ich mich: Wenn die Kronjuwelen tatsächlich nicht echt waren, wo waren dann die echten – und, noch interessanter, wer hatte wohl das Gerücht, dass die Juwelen nicht echt waren, unter die Leute gebracht? Möglicherweise die Bewacher der Juwelen selbst, damit potentielle Juwelendiebe einen Diebstahl gar nicht erst in Erwägung zogen? Wenn das stimmte, waren dann die Juwelen vielleicht doch echt, weil man davon ausging, dass sie ja sowieso niemand stehlen wollte? Bommen en Granaten , sagte ich mir, A-nan - da brauchte kein Geschmeide.
    Als die Sonne sich bereit machte unterzugehen – viel war von ihr nicht zu sehen, denn sie hatte sich in die grauen Kohlestaubschwaden der Stadt gehüllt –, fand ich mich vor dem Buckingham Palast wieder. Zum zweiten Mal an diesem Tag tat ich etwas, das sonst nicht meine Art war: Ich gab mich Gerüchten hin. Nämlich dem Gerücht, dass Victoria und Albert ganz im Gegensatz zu der Fassade, die sie bei öffentlichen Anlässen zur Schau stellten, es hinter den zugezogenen Vorhängen des Schlafzimmers so richtig krachen ließen. Es gab sogar Stimmen, die behaupteten, dass die Königin den sieben Kindern, die sie von 1840 bis 1851 geboren hatte, deshalb kritisch gegenüberstand, weil Schwangerschaft und Babys sie vom Beischlaf abhielten.
    Und ich Tropf stand hier vor ihrem Palast, hatte während des Zeitraums, in dem meine Königin sieben Kinder in die Welt gesetzt hatte, nicht eine Nacht mit meiner Gemahlin verbracht und sah es trotzdem als meine Aufgabe an, die Überlegenheit der britischen Lebensart in die Welt hinaus zu tragen und das Empire vor allem Fremden zu beschützen.
    Ich musste an Ada denken, die sofort, nachdem wir den Kristallpalast verlassen hatten, nach Hause gefahren war, und wusste nicht, ob ich sie für die stoische Gelassenheit, mit der sie die Ereignisse im Palast hingenommen hatte, bewundern oder für die emotionslose Gleichgültigkeit, mit der diese Ereignisse an ihr vorbeigegangen waren, verfluchen sollte.
    Plötzlich kam mir die Inderin in den Sinn, wie sie die Kleider meiner Frau getragen hatte, in die sie nicht hineingehörte. Als wir in den Kristallen aufeinanderprallten – verwirbelten, verschmolzen, was auch immer das Wort war für etwas, für das es kein Wort gibt, – als ich fühlte, dass die rigide Korsage, die nicht für sie gemacht war, ihr die Luft abschnürte und sie nicht nur nach Wasser und Seife roch, sondern nach Gewürz und nach Frau: Da spürte ich ihre Sinnlichkeit, die nicht wie Puder und Perücken war, sondern wie die Erde.
    Aber dann wusste ich nicht mehr, ob ich es gewesen war, der das gefühlt hatte, oder der Niederländer, und als ich an den dachte, widerte mich die Wache, die vor dem Palasteingang stand, plötzlich unendlich an. Das dämliche Karminrot der Uniformjacke, die auch ich in China getragen und die trotz ihrer Farbe mit dem Blut eines Soldaten nichts gemein hatte.

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