Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
zu kybernetischen Implantaten aufweisen.
Was mich an den Geschichten William Gibsons und anderer früher Cyberpunkautoren immer faszinierte, war die Beschreibung einer Welt im Taumel, wahrgenommen durch ein Kaleidoskop widerstreitender Perspektiven. Eine fragmentierte Welt, in der Ekstase und Hoffnungslosigkeit, Allmacht und Rebellion eng beieinander liegen. Eine Welt, beherrscht von unsichtbaren Mächten, in die schleichend fremdartige Einflüsse einsickern, bis die wahre Bedrohung aus dem Inneren, nicht von außen kommt. Eine hochspezialisierte, tödliche Welt, die von ihren Bewohnern oft selbst nicht mehr verstanden wird, so dass es schwer fällt, zu entscheiden, wer die Opfer, und wer die Stützen dieses Systems sind, und wer es vielleicht eines Tages zu Fall bringen wird.
War dieses Experiment im London einer jungen Königin Victoria machbar?
Die Recherche brachte allerhand Überraschungen mit sich.
Es war ein London ohne Big Ben und Tower Bridge. Es gab weder prächtige Hotels noch eine funktionierende Kanalisation. Pferdelose Omnibusse waren erfunden, aber man hatte sie bereits wieder verworfen. Aber was gab es nicht alles stattdessen! Chinesische Dschunken und dampfbetriebene Orgeln, Atmosphärenbahnen und Ätherschiffe und obendrein den größten Diamanten der Welt.
Tatsächlich war die Wirklichkeit des Jahres 1851 so reich und überbordend, dass wir selten das Bedürfnis verspürten, sie mit fantastischen Dreingaben zu bereichern. Angefangen beim launischen Wetter und aufgehört beim Ablauf der Eröffnungszeremonie sind die meisten Beschreibungen der Stadt in diesem Roman, ihrer Sonnen- wie ihrer Schattenseiten, zu weiten Teilen zeitgenössischen Quellen entnommen. Das gilt für Mr. Soyers Symposium ebenso wie für den Themsetunnel und seine Bewohner, die katastrophalen Zustände im East End oder die Märchenwelt des Kristallpalasts mit seinen Ulmen und parfümierten Springbrunnen.
All diese Wunder gab es, ebenso wie die meisten der beschriebenen Exponate – auch wenn wir uns schon aufgrund der Verwüstungen, die wir im Westflügel anzurichten gedachten, nicht an den historisch korrekten Ausstellungsplan gehalten haben. Besonders mit der Aufnahme von Mr. Hawkins’ berühmten Saurierskulpturen und Mr. Blands atmotic ship haben wir uns Freiheiten erlaubt, denn diese gehören in den neuen Kristallpalast, der drei Jahre später in Snydenham seine Wiederauferstehung feierte.
Wo immer möglich sind wir den historischen Begebenheiten, Daten und Personen aber mit größter Vorsicht und Respekt begegnet. Dass Sir Joseph Paxton und Mr. Brunel dann doch zu Verschwörern wurden, bitten wir zu entschuldigen.
Insgesamt ließe sich sagen, dass Mr. Faradays Satz von der Wundermacht des Wirklichen für die Weltausstellung 1851 wie für Der Kristallpalast gleichermaßen gilt. Es ist ein gutes Gefühl, es geschafft zu haben.
Dass es soweit kam, dafür danken wir allen Menschen, die uns mit ihrer Kreativität und ihrer Zuversicht unterstützt haben; allen voran unseren fellow creative writers für viele aufregende Abende, Majo und Fiede für die Hilfe mit exotischen Sprachen und dem Team von Feder&Schwert, das sich wieder einmal getraut hat, mit der Reihe origin neue Wege zu beschreiten.
Oliver Plaschka
Speyer, Frühjahr 2010
Literatur
Unzählige Bücher und Aufsätze wurden zur Weltausstellung von 1851 geschrieben, und viele zeitgenössische Führer und Kataloge, wie der Official Descriptive and Illustrated Catalogue , Tallis’s Illustrated London oder der in Wien erschienene Besuch in London während der großen Industrie-Ausstellung: Ein verläßlicher Führer und Wegweiser für den deutschen Reisenden , sind auch online verfügbar. Als besonders hilfreich für die Entstehung dieses Buches seien jedoch John R. Davis, The Great Exhibition , und Christopher Hobhouse, 1851 and the Crystal Palace , genannt; ferner die Arbeiten von Utz Haltern, Die Londoner Weltausstellung von 1851 , und Sumita Chaudhuri, Beggars of Kalighat ; eine gute Einführung in den viktorianischen Alltag bietet Liza Picard, Victorian London ; und zu guter Letzt sei auch auf Lee Jacksons Victorian Dictionary verwiesen, eine umfangreiche Sammlung historischer Dokumente, die man unter http://www.victorianlondon.org/ einsehen kann.
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