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Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka , Matthias Mösch , Alexander Flory
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gut, hier mit Bailey auf einem Kutschbock irgendwo in Kennington zu sitzen.
    Auf eigentümliche Weise fühlte ich mich älter, aber auch befreit, als wäre ich nach langer Zeit aus einem Traum erwacht, den ich allmählich zu vergessen begann. Ich fragte mich, ob es den anderen auch so erging. Ich hatte die letzten Tage oft an sie denken müssen, obwohl es mich schmerzte: an den Captain, wie er selbstsicher vor mir gestanden und all meine Versuche, ihn zu betören, einfach hatte abperlen lassen, nur das Quengeln eines kleinen Mädchens in einer fremden Sprache. Dann sein Blick, als ich das Leben seiner Frau bedrohte; die Verachtung, die er in diesem Moment empfunden hatte, würde mich mein Leben lang begleiten.
    Frans im Laubwerk der Platane, eine grinsende Katze, die ein Vogelnest geplündert hat. Das Leuchten in seinen Augen, als wir unter dem Transept standen und versuchten, die Kristalle nach den Sternen auszurichten, wie Kinder, die ganz heimlich mit etwas spielen, das sie im Zimmer ihrer Eltern gefunden haben.
    „Das war ihr einziger Sinn, nicht wahr?“, fragte ich und riss Bailey aus seinen Gedanken. „Der Kristalle, meine ich, und auch der Talente: Die Shilas mögen ihre Träger stärker, schneller oder klüger machen, und wir verehrten sie und hielten ihre Gaben für ein Geschenk – ihr eigentlicher Sinn aber ist es, Menschen in Versuchung zu führen, die Macht der Kristalle zu entfesseln.“
    Bailey nickte.
    „Woher stammen sie?“, fragte ich und senkte die Stimme, so dass sie kaum mehr als ein Flüstern war. „Wer hat die Steine zu uns gebracht und weshalb? Wer hätte denn etwas davon, wenn wir ...“ Mir fehlten die Worte.
    „Diese Frage“, sagte Bailey ruhig, „sollten Sie nicht stellen, Miss Niobe. Sie haben sich schon dagegen entschieden. Es herauszufinden, meine ich.“
    „Ich war kurz davor“, sagte ich. „Ich habe so lange darauf gehofft, und als es dann soweit war, bekam ich Angst.“
    „Gut“, sagte Bailey.
    „Was wäre geschehen, wenn Sie sich geirrt hätten?“
    „Wenn Sie vollendet hätten, was Sie angefangen hatten?“
    Ich nickte.
    „Ich weiß nicht. Aber eines kann ich sagen: Wir wären jetzt nicht hier.“
    Ich zog den Mantel enger um mich. „Wenn ich den Shila wieder anlegte“, fragte ich, „wäre dann alles wieder wie früher?“
    „Nichts kann wieder sein, wie es war“, sagte Bailey. „Das Rad des Schicksals dreht sich weiter. Doch irgendwann wird es eine weitere Drehung vollendet haben. Wir werden es merken, wenn es soweit ist.“
    „Es ist nicht vorbei?“
    „Das liegt an Ihnen“, sagte er. „Wie weit reicht Ihre Sehnsucht, Miss Niobe?“
    Ich sah zum Himmel empor. Die Wolken rissen auf, und das alte Schwarz zwischen den Sternen lag bodenlos und vollkommen über der Welt. Die Sternen schienen mir nackt und ohne Schutz in diesem Schwarz, und ihr Funkeln war böse, geheimnisvoll und wunderschön zugleich, wie die Augen eines Raubtiers, ein sterbendes Feuer, ein Glockenschlag in der Nacht.
    „Was hätte Keats gesagt?“, flüsterte ich, und auch ohne einen magischen Stein an meiner Brust wusste ich, Bailey dachte dasselbe wie ich.
    Oh Göttin, weis mir, was ich nie gekannt’
    Ist fernab dieses Eilands sonst nichts mehr?
    Was sind die Sterne? Sieh die Sonne, sieh!
    Die Sonne! Und des Monds geduldig’ Glanz!
    Und Sterne tausendfach! Weis mir den Weg
    Hinauf zu irgendeinem schönsten Stern
    Dass ich mit meiner Leier zu ihm eil’
    Und seine Silberpracht vor Freude jauchzt.
    „Schauen Sie“, rief Bailey, und mit einem gewaltigen Krachen stieg die erste Rakete über Vauxhall Gardens empor und versprühte ihren purpurnen Funkenregen über dem Park.
    Wir saßen nebeneinander auf dem Kutschbock und beobachteten das Feuerwerk.
    Als es vorbei war, nahm Lord Bailey die Zügel auf und fuhr mich nach Hause.
    ENDE

Zeittafel
1772
Kalkutta wird zur Hauptstadt Britisch-Indiens ausgerufen.
1779
Eine niederländische Expedition unter Führung Johan Vanderbilts entdeckt im Hinterland Arakans eine unbekannte Urwaldstadt. Der letzte Überlebende der Expedition transportiert mehrere Kisten geborgener Schätze nach Chinsura, eine niederländische Niederlassung am Hugli nördlich Kalkuttas.
1784
König Bodawpaya von Burma überfällt Arakan und zerstört die alte Hauptstadt (Mrauk U).
1785
Edmond Cartwright entwickelt die erste dampfbetriebene Webmaschine. Jean-Pierre Blanchard und der Amerikaner John Jeffries überqueren mit einem Wasserstoffballon den

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