Gestohlene Leidenschaft
1
Gegenwart - Schottland
Das leichte Frösteln auf Viktorias Haut hielt sie nicht davon ab, in einer sternenklaren Novembernacht am offenen Schlafzimmerfenster zu stehen und sehnsüchtig hinauf in das Waldgebiet zu schauen, in dem eine einst mächtige Burg im Dornröschenschlaf lag. Der kühle Nachtwind blies sanft durch ihr langes blondes Haar. Wie in jeder Nacht der letzten zwei Jahre wollte sie die sein, die in längst vergangenen Zeiten in diesen Mauern lebte. Sie wollte die sein, die in kostbaren Kleidern rauschende Feste feierte. Und sie wollte die sein, deren Mann ihr die Welt zu Füßen legte - Lady Elisabeth. Doch sie war nur Viktoria, ein Niemand, der in einer Welt ohne Helden lebte. Viktoria atmete tief durch. Sie kannte Lady Elisabeth und ihren Gemahl nur von einem Gemälde, das im Stadtmuseum hing. Täglich trieb es Viktoria dorthin, um in den himmelblauen Augen von Lord Draven zu versinken. Augen, die voller Liebe strahlten und deren faszinierender Blick niemals ihr gelten würde.
Vor zwei Jahren hatte Viktoria beschlossen, einer verfallenen Burg, in deren Ruinen sie als Kind oft spielte, Leben einzuhauchen und deren Bewohner in einem Liebesroman auferstehen zu lassen.
Dann stieß sie bei ihren Recherchen auf die Geschichte einer Liebe, die die Menschen noch nach Jahrhunderten in ihren Bann zog und Frauenherzen höher schlagen ließ.
Viktoria machte sich keine Illusionen, kein Mann würde für sie in den Krieg ziehen und seinen Rivalen niederstrecken, so wie es Lord Draven für Lady Elisabeth getan hatte, die einem anderen versprochen war.
Nun schrieb Viktoria am letzten Kapitel und Wehmut überfiel sie beim Anblick der Burg.
Sie musste Abschied nehmen von Lady Elisabeth, Lord Draven und deren leidenschaftlicher Liebe und zurückkehren in ihr eigenes Leben.
Bei dem Gedanken daran ergriff Kälte Besitz von Viktorias Herz. In ihrem Leben existierte nichts außer Einsamkeit, Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit. Es mangelte Viktoria nicht an Männern, die ihre Nähe suchten. Doch bei keinem dieser Männer fühlte sie Seelenfrieden.
Die Kälte der Nacht kroch unter Viktorias Haut und ließ sie frieren.
Seufzend schloss sie das Fenster. „Was gäbe ich für eine solche Liebe“, flüsterte sie.
2
Schottland - ein Jahr vorher
Vor Kälte zitternd stand Olivia inmitten einer Burgruine. Eisig blies der Wind durch ihr langes schwarzes Haar und ließ es wild tanzen. Aus ihren blauen Augen sprühten Funken des Hasses, die fast bis in die Vergangenheit reichten, in die sie eindringen wollte.
Die Flammen der schwarzen Kerzen, die sie in Form eines Pentagramms aufgestellt hatte, erloschen immer wieder und versperrten ihr seit Stunden den Weg in ein anderes Leben.
Ein Leben, das sie in teure Kleider hüllte, ihr Macht verlieh und sie das Bett mit Lord Draven teilen ließ.
„Noch gefangen in der Gegenwart?“, hörte Olivia hinter sich eine Stimme, deren faszinierender Klang bis in die Seele eines Menschen drang.
„Würdest du den Sturm abstellen“, erwiderte Olivia kühl, ohne sich umzudrehen.
Olivia kannte die Macht von Ramaja, der die Magie der alten Macht praktizierte und sie in das Ritual der Zeitreise einweihte.
„Der Wind ist wie ein stürmischer Liebhaber, ihn zu zähmen heißt, den Unmut des Universums heraufbeschwören.“
Wütend wandte sich Olivia um. Die blauen Augen des Ramaja funkelten geheimnisvoll, sein schulterlanges graues Haar ergab sich dem Sturm. Sein weißes Gewand verlieh ihm das Aussehen eines Magiers, dessen unendliche Macht alles bezwingen konnte.
„Ich werde nicht noch eine Nacht auf mein neues Schicksal warten“, zischte Olivia.
„Ich hoffe, du hast nicht vergessen, weshalb ich dir dieses neue Schicksal schenke“, erwiderte Ramaja ruhig.
„Lady Elisabeth konnte Draven keine Kinder schenken und nach Dravens Tod hat sein unrühmlicher Bruder Mervan die Macht an sich gerissen und das Volk tyrannisiert. Um dieses Schicksal abzuwenden, werde ich die Frau an der Seite des Lords sein und ihm viele Kinder schenken.
„So wird es sein.“ Ramaja hob die rechte Hand, sofort legte sich der Sturm. Er musterte Olivia, die in ihrem eng anliegenden, schwarzen Kleid eine faszinierende Ausstrahlung besaß.
Ramaja hoffte, er hätte die richtige Braut gefunden, als er Olivia mit Hilfe seiner inneren Magie ins Jahr 1735 schickte.
Lord Draven MacKinnen ahnt nicht, dass sein Freund Ramaja ein Magier ist, der ihm die Frau, die er liebt, nimmt, um sein Schicksal und das des Volkes
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