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Der Kuss der Russalka

Der Kuss der Russalka

Titel: Der Kuss der Russalka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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an diesem Tag seinen Blick sehnsuchtsvoll über den Fluss schweifen in der Hoffnung, eines von Zar Peters Schiffen zu sehen. Dort, wo die Newa sich in drei mächtige Mündungsarme aufspaltete, lag die kleine Haseninsel so, als würde die große »Petersburger Insel«, die dahinter lag, sie halb umarmen wollen. Wenn Johannes die Augen zusammenkniff, konnte er erahnen, wo das Wohnhaus des Zaren stand, sein »Domik«. Es befand sich rechts von der Haseninsel auf der Sankt Petersburger Insel – ein einfaches Blockhaus aus Kiefernholz, das der Zar in drei Tagen eigenhändig gezimmert hatte, um von dort aus den Bau seiner Stadt zu überwachen. Nur zwei Zimmer waren darin und vor dem Haus lag ein einfaches Ruderboot.
    Auf der vorgelagerten Haseninsel erhob sich dagegen ein weit imposanterer Bau: Auf einem Fundament aus Eichenpfählen stand bereits die Peter-Paul-Festung in Form eines länglichen, unregelmäßigen Sechsecks. Mehrere Bastionen waren angelegt, bereit jedem Gegner zu trotzen. Gerade war damit begonnen worden, die aufgeschütteten Erdwälle durch Steinmauern zu ersetzen. Doch schon jetzt gab die Festung ein großartiges Sperrwerk ab: So weit die Kanonen schießen konnten, war es möglich, jeden Punkt zu Wasser und zu Lande von den Bastionen aus unter Kreuzfeuer zu nehmen. So war die neue Stadt sowohl gegen die Angriffe der schwedischen Flotte von der Seeseite als auch vor schwedischen Landtruppen, die von Finnland oder von Livland aus angreifen konnten, geschützt.
    Weiter links lag das zukünftige Zentrum der Stadt: die Wassilijewskij-Insel. Manche nannten sie auch Fürst Menschikows Insel, nach dem besten Freund des Zaren, der auch der Gouverneur der entstehenden Stadt war: Alexander Menschikow. Hier, an der östlichen Spitze, befand sich der Hafen. Enttäuscht erkannte Johannes jedoch, dass er an diesem Morgen keines der großen Schiffe zu sehen bekommen würde. Lediglich die üblichen Schwärme von Transportkähnen fuhren ihre Güter über den Fluss, außerdem kreuzten kleinere Ruderboote ihren vorgezeichneten Weg. Johannes’ Herz schlug höher, wenn er an die zwei Jachten des Zaren dachte, deren Konstruktion er inzwischen bis hin zum kleinsten Knoten an den Focksegeln auswendig kannte: die Sankt Peter und die Sankt Paul. In Amsterdam hatte sich der Zar zudem vor über zehn Jahren die erste Fregatte bauen lassen, der Grundstein zu seiner eigenen Flotte, die inzwischen um ein Vielfaches angewachsen war. Zu dieser Flotte gehörte auch ein schwedisches Schiff, das der Zar eigenhändig gekapert hatte. Johannes zog es nicht in die Seeschlachten, sehr wohl aber aufs Meer und am allermeisten in die Werft, die durch den Fluss getrennt schräg gegenüber vom Hafen auf dem südlichen Flussufer lag.
    »Na, träumst du wieder?«, fragte Onkel Michael.
    Johannes nahm sich zusammen und wandte sich wieder dem Gerüst zu, mit dem er gerade beschäftigt war. Der Hammer lag ihm heute schwer in der Hand.
    Onkel Michael warf ihm einen düsteren Blick zu. »Es ist ein langer Weg zum Schiffszimmermann«, sagte er, als seien Johannes’ Gedanken in schwarzer Schrift auf seine Stirn geschrieben. »Und wenn du meinst, du kommst schneller dorthin, wenn du bei mir die Zeit vertrödelst, hast du dich getäuscht.«
    »Du würdest mich ohnehin nicht weglassen«, murmelte Johannes. Er widersprach seinem Onkel nicht oft, heute aber stieg seltsamerweise ein tiefer Ärger in ihm auf, Ärger darüber, dass sein Onkel mürrisch und unnahbar war.
    »Aus gutem Grund«, gab Michael prompt zurück. »Erstens brauche ich dich in der Werkstatt und zweitens möchte ich nicht, dass die See dich verschlingt.«
    »Ich spreche nicht davon, Matrose zu werden«, erwiderte Johannes ernsthaft. »Ich spreche davon, Schiffe zu bauen.«
    »Erst baust du sie und dann ruft dich die See«, sagte Michael. »Ich kenne diesen Ruf und er hat mir kein Glück gebracht.«
    Johannes schwieg. Noch nie hatte er gewagt, seinen griesgrämigen Onkel nach seiner ebenso geheimnisvollen wie abenteuerlichen Vergangenheit zu befragen. Aber er wusste, dass er mit seinem Onkel am besten über das Schweigen sprach. So standen sie da, keiner von ihnen sagte ein Wort, die unausgesprochene Frage schwirrte wie ein lästiges Insekt in der Luft. Michael stand unschlüssig da, schließlich seufzte er und setzte sich auf die unterste Strebe des Gerüsts, an dem Johannes gerade arbeitete. »Setz dich«, sagte er beinahe freundlich. Johannes gehorchte. Michael sah ihn lange an, dann streckte

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