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Der Kuss der Russalka

Der Kuss der Russalka

Titel: Der Kuss der Russalka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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unwahrscheinlich, dass Zar Peter selbst zu den Handwerkern ging. Er liebte es, überall persönlich vor Ort zu sein. Nicht selten nahm er sogar einem Handwerker das Werkzeug aus der Hand und arbeitete viel geschickter damit. Viele Jahre hatte er in Deutschland und in anderen Ländern die verschiedensten Handwerkskünste erlernt. Marfa hatte Johannes erzählt, dass er unter dem Namen Pjotr Michajlow zu reisen pflegte.
    Doch es war nicht der Zar, der Michaels Werkstatt einen Besuch abstattete. Vor dem Gebäude erschien eine Gruppe von Leuten, deren prächtige Röcke und Westen mit langen Reihen wertvoller Knöpfe verziert waren. Gold blinkte in der trüben Nachmittagssonne. Einer der Besucher, ein korpulenter Mann, dessen lichtes Haar im Nacken von einem Seidenband zusammengehalten wurde, trat vor. Seine geröteten Wangen bebten. Es war der Baumeister Carsten Sund, ein Auftraggeber von Onkel Michael. Heute strahlte er allerdings nicht wie üblich gemütliche Ruhe aus, sondern klammerte sich nervös an eine Ledermappe, aus der Papier quoll. Der Grund für seine Aufregung war offenbar der hagere, dunkelhaarige Mann, der ihn begleitete. Er trug einen Federhut und einen weißen Schalkragen, der so sauber war, dass er in der Sonne leuchtete.
    »Michael!«, rief Carsten Sund schon von weitem. »Komm raus. Du hast hohen Besuch!«
    Onkel Michael wischte sich die Hände an einem Ledertuch ab und trat vor. Marfa kam aus dem Haus, auf einem Tablett drei von Iwan geschnitzte, prächtige Trinkbecher. Verstohlen sah sich Johannes nach Iwan um. Der alte Leibeigene war wie vom Erdboden verschwunden.
    »Das, verehrter Obrist Trezzini, ist der Mann, von dem ich Euch erzählt habe«, begann Carsten Sund. »Michael Brehm, der beste Zimmermann, wenn es um Gerüste geht, und der beste Tischler für Türen und Täfelungen. Seine Winkel sind so genau gefertigt, dass nicht einmal eine Wanze in den Spalt passt.« Er lachte nervös. Michael versuchte sich an einem Lächeln und verbeugte sich tief.
    »Gut«, sagte Trezzini kühl, aber nicht unfreundlich. »Dann lasst uns einen Blick in eure Werkstatt werfen.« Immer noch suchte Johannes nach einer Verbindung zu dem Namen, der ihm bekannt vorkam. Ohne Umschweife und mit selbstbewusstem Schritt ging Trezzini zu einem der Tische, die die Gehilfen mit der Geschwindigkeit eines Wimpernschlags freigeräumt hatten, und nahm Carsten Sund die Mappe aus der Hand. Mit Schwung breitete er ein Papier auf dem Tisch aus, auf dem mit feinen Linien die Skizze einer prächtigen Kirche mit einer nadelartigen, weit in den Himmel ragenden Spitze eingezeichnet war. Daneben befanden sich Zeichnungen von Stützstreben und ein verschnörkeltes Portal. Rechts oben war ein doppelköpfiger und zweifach gekrönter Adler abgebildet, das Wappen des russischen Zarenreiches.
    Nun begriff Johannes, wen er vor sich hatte: Domenico Trezzini, einer der wichtigsten Architekten der Stadt. Trezzini selbst nannte sich »Obrist für Fortification«. Seit einem Jahr war er damit betraut, die Erdwälle, die die Festung auf der Haseninsel umgaben, durch Steinmauern zu ersetzen. Gleichzeitig arbeitete er daran, die Festungsgebäude und den Neubau der Kathedrale zu planen, deren Holzkonstruktion ebenfalls bald einem massiveren Bau weichen sollte. Fast zweitausend Schauerleute, die für das Verladen der Baumaterialien auf die Lastschiffe zuständig waren, standen unter seinem Befehl. Jeder Baumeister in der Stadt, jeder Handwerker hätte alles dafür gegeben, für Trezzini arbeiten zu dürfen. Michael war blass, aber er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Gemeinsam mit Sund beugte er sich über die Zeichnungen. Trezzini verschränkte die Arme und sah zu. Johannes erkannte, dass sich sowohl sein Onkel als auch dessen Auftraggeber auf dem Prüfstand befanden.
    »Wir brauchen eine Konstruktion für ein Gerüst, das für die Zeit des Baus diese Streben stützt«, sagte Baumeister Sund und tippte auf die haarfeine Zeichnung. Johannes streckte den Hals, um besser sehen zu können, aber ein strenger Blick von einem der Männer, die Trezzini begleiteten, ließ ihn erstarren. Es war nicht die Zeit, seinem Onkel Ärger zu machen.
    Michael runzelte die Stirn. »Und es wird ein Rampensystem nötig sein, auf dem sich die Steine zur Mauer hochziehen lassen.« Trezzini lächelte verhalten. Onkel Michael betrachtete die Zeichnung, drehte sie ein wenig und schüttelte schließlich den Kopf. »Die Konstruktion ist im Grunde korrekt. Aber wenn Ihr diese

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