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Der Kuß der Schlange

Der Kuß der Schlange

Titel: Der Kuß der Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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ganzen Tag auf Ihrer Arbeitsstelle?«
    »Marcus Flower, Public-Relation-Beratung. Half Moon Street. Ich bin da Buchhalter.« Hathall räusperte sich. »Man wird Ihnen dort bestätigen, daß ich den ganzen Tag dort gewesen bin.«
    Wexford hätte beinahe die Augenbrauen gehoben; er strich sich übers Kinn und betrachtete den Mann schweigend. Burdens Gesicht verriet zwar nichts, aber er wußte, daß der Inspector das gleiche dachte wie er. Und in diese Stille hinein stieß Hathall, der den letzten Satz geradezu eifrig gesprochen hatte, einen noch lauteren Schluchzer aus und vergrub das Gesicht in den Händen.
    Gefühllos wie ein Stein sagte Mrs. Hathall: »Laß dich nicht gehen, Sohn. Trag es wie ein Mann.«
    Doch muß ich’s fühlen wie ein Mann … Während ihm diese Zeile aus ›Macbeth‹ in den Sinn kam, überlegte Wexford flüchtig, warum er so wenig Mitleid mit Hathall empfand, warum er nicht bewegt war. Wurde er nun gleichgültig und abgebrüht, wie er immer geschworen hatte, nicht zu werden? Oder lag tatsächlich etwas Falsches im Verhalten dieses Mannes, das diese Schluchzer und diese Hingabe an den Schmerz Lügen strafte? Aber wahrscheinlich war er bloß müde und vermutete überall Bedeutungen, wo es gar nichts gab. Wahrscheinlich hatte die Frau irgendeinen Fremden aufgegabelt, und dieser Fremde hatte sie umgebracht. Er wartete ab, bis Hathall die Hände vom Gesicht nahm und den Kopf hob.
    »Ihr Auto ist nicht da?«
    »Es war aus der Garage verschwunden, als ich nach Hause kam.« Auf den harten, mageren Wangen waren keine Tränen. Aber wäre der Sohn dieser steingesichtigen Frau überhaupt fähig, Tränen hervorzupressen?
    »Ich brauche eine Beschreibung Ihres Wagens und die Nummer. Sergeant Martin wird sich diese Einzelheiten gleich von Ihnen geben lassen.« Wexford stand auf. »Der Arzt hat Ihnen ein Beruhigungsmittel dagelassen, glaube ich. Ich schlage vor, Sie nehmen das und versuchen, etwas zu schlafen. Morgen früh würde ich gern noch einmal mit Ihnen sprechen, heute nacht können wir nichts mehr tun.«
    Mrs. Hathall schloß die Tür hinter ihnen mit einer Miene, als fertige sie mit einem »Heute nicht. Danke!« ein paar Hausierer ab. Eine Weile blieb Wexford auf dem Gartenweg stehen und blickte sich auf dem Grundstück um. In dem Licht aus den Schlafzimmerfenstern sah er zwei Rasenstücke, die seit Monaten nicht gemäht worden waren, und einen abgeernteten Pflaumenbaum. Der Gartenweg war gepflastert, die Einfahrt jedoch, die zwischen der Häuserwand und dem Zaun rechter Hand verlief, war betoniert.
    »Wo ist denn die Garage, von der er gesprochen hat?«
    »Muß wohl hintenrum sein«, meinte Burden. »An der Seite war ja kein Platz für einen Garagenanbau.«
    Sie folgten der Auffahrt um die hintere Hausecke herum und stießen auf einen billigen Schuppen mit einem Dach aus Preßfaser, den man von der Straße aus nicht sehen konnte.
    »Wenn sie losgefahren ist«, meinte Wexford, »und jemanden aufgegabelt und mitgebracht hat, dann können die beiden den Wagen sehr leicht in der Garage abgestellt haben, ohne daß eine Seele sie gesehen hat. Sie sind dann wahrscheinlich durch die Küchentür ins Haus gegangen. Wenn wir jemanden finden, der sie gesehen hat, haben wir Glück gehabt.«
    Schweigend betrachteten sie die mondbeschienenen, leeren Felder, die sich bis zu den bewaldeten Hügeln hinaufzogen. Hier und da blinkte in der Ferne ein einzelnes Licht. Und während sie zur Straße zurückgingen, wurde ihnen bewußt, wie isoliert das Haus, wie abgelegen der Weg war. Seine hohen Böschungen, überwölbt von dichten, überhängenden Bäumen, machten ihn nachts zu einem schwarzen Tunnel und zu einem verwunschenen, wenig benutzten Korridor bei Tage.
    »Das nächstgelegene Haus«, bemerkte Wexford, »ist diese Villa oben bei der Stowerton Road, und das einzige sonst ist die Wool Farm. Die liegt einen reichlichen halben Kilometer da runter.« Er deutete durch den Baumtunnel, dann ging er zu seinem Wagen. »Unser Wochenende können wir vergessen«, meinte er. »Also, wir sehen uns gleich morgen früh.«
    Das Haus des Chief Inspectors lag im Norden von Kingsmarkham an der gegenüberliegenden Seite des Kingsbrook. Im Schlafzimmer brannte noch Licht, und seine Frau war noch wach, als er heimkam. Dora Wexford war zu gelassen und zu vernünftig, um auf ihren Mann zu warten, aber sie hatte bei ihrer älteren Tochter Kinder gehütet und war gerade erst zurückgekommen. Er fand sie im Bett sitzend und lesend, ein Glas

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