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Der Kuss des Anubis

Titel: Der Kuss des Anubis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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nicht einmal Anukets berühmtes Feigenmus, von dem er sonst nicht genug bekommen konnte, schien ihm heute zu schmecken. Schon nach ein paar Bissen schob er seinen Schemel zurück und stand auf.
    »Kann spät werden heute«, sagte er. »Ein Auftrag, der großes Fingerspitzengefühl erfordert.« Er verdrehte die Augen.

    Das bedeutete reiche Kunden, wie Miu beizeiten gelernt hatte. Leute, die sich die Ewigkeit etwas kosten lassen.
    Miu nickte. Der Blick ihres Vaters wurde streng.
    »Und du bleibst bei Raia, verstanden? Ich will nicht wieder von meinen Kunden zu hören bekommen, dass man dich allein in der Stadt herumstromern sieht!«
    Ihr zweites Nicken fiel deutlich zögernder aus.
    Sie blieb sitzen, bis seine Schritte verklungen waren. Dann atmete sie erleichtert aus, längst entschlossen, ihre Beobachtungen von gestern zu vertiefen.Auf das Westufer würde sie heute allerdings verzichten, denn sie wollte nicht riskieren, dem Warzenkerl vor dem Palast der leuchtenden Sonne in die Arme zu laufen. Doch wer sollte sie schon daran hindern, Besorgungen auf dem Markt zu machen?
    Anuket war mit dem schmutzigen Geschirr im Küchenbau verschwunden; die beste Gelegenheit, ihren Plan unverzüglich umzusetzen. Miu sprang auf, schaute vorsichtig nach rechts und links, aber niemand war zu sehen, der sie hätte aufhalten können. Also lief sie los.
    Über der Stadt lag noch ein Rest von Morgenfrische, doch die dräuende Hitze, die nicht mehr lange auf sich warten lassen würde, war bereits zu spüren. Trotzdem war der Markt gut besucht, ein Gewimmel von Menschen, Tieren und Waren, deren unterschiedliche Gerüche und Aromen ihr in die Nase stiegen. Jedes Fitzelchen Boden schien belegt; sie musste achtgeben, um auf keine der Binsenmatten zu treten, wo die Bäuerinnen ihr Obst- und Gemüseangebot ausgelegt hatten. Zwischendrin hatten sich die Oasenleute ausgebreitet mit dem gräulichen Salz, das zu jeder Jahreszeit begehrt war. Unter dem Geschnatter von
Enten und Gänsen in engen Käfigen hielt Miu Ausschau nach dem Warzenkerl.
    Doch leider entdeckte sie ihn nirgendwo.
    Weil er gerade Dienst im Palast tun musste?
    Weil sie sich doch getäuscht hatte und alles lediglich eine Ausgeburt ihrer Fantasie war?
    Oder weil er bereits zugeschlagen hatte?
    Ein fürchterlicher Gedanke, der Miu die Nackenhärchen aufstellte und sie umso schneller weitergehen ließ.
    Am Stand des Schlangenbeschwörers, den sie als Nächstes ansteuerte, standen zwei Männer, die dessen übliche Vorführung verfolgten. Für Miu nichts Neues: die graubraune, giftlose Kobra, die müde tänzelte, kannte sie ja bereits von gestern. Ihre Augen flogen über die anderen Körbe auf dem wackligen Tisch.
    Sechs, zählte sie. Sechs!
    Waren es gestern nicht sieben gewesen?
    Miu war sich alles andere als sicher, doch jetzt fühlte sie ihn wieder wachsen, jenen hässlichen Klumpen in der Magengrube.
    »Ist das alles, was du zu bieten hast?«, sagte sie in forschem Tonfall. »Das arme Tier stirbt ja förmlich an Altersschwäche, so lahm bewegt es sich nur noch!«
    Einer der beiden Männer lachte, der andere sah sie verdutzt an. Mit finsterer Miene öffnete der Schlangenbeschwörer einen weiteren Korb.
    »Mit der hier im Kornspeicher werdet ihr alle Ratten und Mäuse los«, sagte er zu den Männern gewandt, als bestünde Miu aus Luft. »Die räumt überall gründlich auf!«
    Das Tier war dick wie ein Kinderarm und auf dem Rücken strohgelb. Nicht das, wonach Miu Ausschau hielt.

    Inzwischen schienen die Männer ebenfalls Lust bekommen zu haben, mehr zu sehen.
    »Ja, zeig sie uns, deine gefährlichen Viecher«, rief der eine. »Ich will sie alle in Augenschein nehmen!«
    Der Blick, den der Schlangenbeschwörer Miu zuwarf, während er hantierte, war beinahe so giftig wie das Sekret seiner Vipern. Doch sie war ja zum Glück nicht allein. Das machte ihr Mut, einen neuerlichen Vorstoß zu wagen.
    »Da war doch noch so eine Rötliche«, sagte sie. »Mit einem breiten schwarzen Band um den Hals …«
    »Halt den Mund!«, fiel ihr der Schlangenbeschwörer ins Wort. »Und hau endlich ab! Hast du dich nicht schon gestern hier herumgetrieben?«
    Miu zuckte die Achseln. »Kannst du oder willst du nicht antworten? Vielleicht weil du …«
    Sie konnte nicht weiterreden, so schnell war er bei ihr, umklammerte ihre Arme und begann, sie wie wild zu schütteln.
    »Was willst du?«, schrie er. »Was hast du aufdringliches Balg hier zu suchen?« Seine Nägel waren lang wie Krallen und bohrten sich in

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