Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Kuss des Anubis

Titel: Der Kuss des Anubis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
Vom Netzwerk:
Himmel fliegen.« Ja, so war es richtig! »Genau das haben die beiden Männer gesagt.«
    Anis schmales, glatt rasiertes Gesicht blieb höflich und unbeteiligt.
    »Du bist ihnen auf der Straße begegnet?«, fragte er weiter. »Wo genau?«
    »Nein, es war bei euch im Graureiher . Als ich ihnen Bier serviert habe.«
    Er blieb abrupt stehen. Die wulstige Narbe auf seiner Stirn, ebenfalls eine unschöne Erinnerung an den Feldzug nach Kusch, schien plötzlich dunkler geworden zu sein.
    »Im Graureiher , bei meiner Mutter? Wenn das eine Art Spiel sein soll, Miu, dann ist es ein sehr dummes.« Ani sagte das so ruhig und flüssig wie einen Vers, den er vor langer Zeit auswendig gelernt hatte. »Und du solltest auf der Stelle damit aufhören.«

    Er glaubte ihr kein Wort. Miu wurde heiß.
    »Das ist kein Spiel«, sagte sie. »Was glaubst du denn, warum ich noch einmal hierher zurückgekommen bin? Die beiden planen einen Anschlag, oder was sonst sollte das deiner Meinung nach heißen? Deshalb hab ich sie ja auch verfolgt.«
    »Du hast - was?«
    »Na ja, wenigstens einen der beiden«, räumte sie ein. »Den mit der Warze am Nasenflügel. Der Ältere mit dem Geierprofil hatte sich beizeiten mit einem Ochsenkarren davongemacht, da bin ich eben dem jüngeren Warzenkerl nach, erst auf den Markt, wo er sich bei diesem Schlangenbeschwörer von vorhin herumgetrieben hat, später weiter auf die Fähre und dann hinüber bis zum Palast auf dem Westufer …« Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. »Plötzlich war er verschwunden. Ich wette, er gehört zur Dienerschaft des Pharaos!«
    Anis lange Beine setzten sich in Bewegung. Es war, als wäre sie gar nicht mehr vorhanden.
    »Was hast du denn auf einmal?« Miu gab sich Mühe, ihn wieder einzuholen. »Du kannst doch jetzt nicht einfach so davonrennen! Dabei weißt du noch nicht einmal alles …«
    Er hielt inne, sah sie eindringlich an.
    »Und du musst endlich lernen, Fantasie von Wahrheit zu unterscheiden, Miu, sonst wirst du über kurz oder lang in allergrößte Schwierigkeiten geraten. Du oder die Menschen, die es gut mit dir meinen.« Noch nie zuvor hatte sie ihn derart ernst gesehen.
    Er behandelte sie wie ein unreifes Gör, das sich irgendetwas ausgedacht hatte! Dabei spürte Miu seit diesem Morgen noch deutlicher, wie real die Gefahr war, in der der König schwebte.

    Sie biss die Zähne zusammen, um ihre Enttäuschung nicht zu zeigen, und ging einfach weiter.
    Schweigend erreichten sie das Haus ihres Vaters.
    Anuket öffnete und zeigte ihre breitestes Lächeln, als sie Ani erblickte. Und auch Raia, ihre Großmutter, die gleich hinter der Dienerin erschien und Miu in Empfang nahm, schien über den unerwarteten Besuch höchst erfreut.
    »Ich habe Miu auf dem Markt getroffen«, sagte Ani, bevor Raia ihn löchern konnte. »Ganz zufällig. Und da dachte ich, ich bringe sie besser nach Hause, jetzt, wo sich kurz vor dem Jahreswechsel immer mehr Gesindel von sonst woher auf den Straßen Wasets herumtreibt.«
    Raia und er tauschten beredte Blicke.
    Wieso fühlte Miu sich eigentlich immer ausgeschlossen, wenn die Verwandten ihrer toten Mutter zusammenkamen?
    »Wie klug von dir. Ganz in meinem Sinn«, sagte Raia. »Hast du schon gefrühstückt, Ani?«
    »Längst.« Er hatte es plötzlich sehr eilig. »Und zurück in die Wache muss ich auch. Bis bald!«
    Miu sah ihm nach, wie er davonging, das linke Bein leicht nachgezogen.
    »Was für ein Jammer!«, hörte sie Großmama neben sich murmeln. »Wo er doch so ehrgeizige Pläne hatte! Aber er macht es gut, der Junge, trotz allem. Das muss man ihm lassen!« Ihr Tonfall veränderte sich. »Und jetzt zu dir. Du siehst aus, als wolltest du mir dringend etwas erzählen.«
    Miu folgte ihr auf der schmalen Treppe nach oben in ihr Allerheiligstes, in das die Familie nur äußerst selten gebeten wurde. Allein schon dort einzutreten, empfand sie als Auszeichnung. Die kleinen, hoch gelegenen Fenster verbannten
die Hitze;jeder einzelne Gegenstand verriet Raias erlesenen Geschmack. Es mochte noch so drückend sein, niemals hatte sie Großmama verschwitzt oder nachlässig gekleidet gesehen.
    Manchmal kam es ihr vor, als wäre Raia ganz aus Licht gemacht. Das mochte an ihren silbernen Haaren liegen, die so gut zu den weißen Kleidern passten, die sie am liebsten trug. Bis auf ein paar tiefere Falten um Augen und Mund war ihr bräunliches Gesicht stets heiter und entspannt, und es umgab sie lediglich ein Hauch von frischem Zyperngras, ganz anders als Papa, dessen

Weitere Kostenlose Bücher