Der Kuss des Verfemten
Liedern und Gedichten um meine Gunst werben.«
»Ja, das ist wirklich viel romantischer. Auch kann man den Sängern und Dichtern ins Gesicht blicken. Die Turnierritter haben das Visier heruntergeklappt.«
Isabella blickte ihre Freundin nachdenklich an. »Warum muss man ihnen ins Gesicht schauen?«
»Na, ob sie hübsch sind! Was wäre, wenn auf dem Turnier ein sehr hässlicher Ritter gewinnt? Ihr wäret ein Leben lang seine Frau und müsstet seinen hässlichen Anblick tagtäglich ertragen.«
»Oh, daran habe ich gar nicht gedacht. Aber sind nicht alle Ritter schön? Es sind doch Kämpfer, Helden. Und wenn ihre Rüstungen blinken und die bunten Wappen an ihren Schilden leuchten, ihre Fahnen wehen und ihre herrlichen Rosse stampfen, so ist das doch wichtiger, als wenn einer ein schönes Gesicht hat. Wichtig ist, dass er die ritterlichen Tugenden aufweist und die Dame seines Herzens respektiert.«
»Und liebt.«
»Liebt? Wo denkst du hin, Mathilda. Einen Ehemann liebt man doch nicht! Ich denke, die Ehe ist eine Zweckgemeinschaft, um ein Land zu regieren. Ganz sicher ist sie nicht gottgewollt, denn sonst gäbe es keine Nonnen und keine Mönche. Ein wahrer Christenmensch liebt nur den Herrn.«
»Meint Ihr wirklich?«
»Aber gewiss, du kleine Närrin. Wenn ich einem Ritter meine Gunst gewähre, weil er besonders tapfer kämpft und sich auf dem Turnier geschickt zeigt, dann hat das doch nichts mit Liebe zu tun. Und auch wenn er ein romantisches Gedicht vorträgt oder eine klare Stimme hat, dann schmeichelt es meinem Ohr, doch nicht meinem Herz. Nein, Mathilda, alles, was darüber hinausgeht, wäre ein Werk des Teufels.«
Mathilda schwieg. Dass das Leben außerhalb der Klostermauern so kompliziert sein würde, hatte sie nicht erwartet. Jetzt wurde ihr doch etwas bange vor der Zukunft. Und sie freute sich plötzlich nicht mehr so sehr auf das Fest und das Turnier und die Hochzeit von Isabella.
Auch Isabella hing ihren Gedanken nach. Im Laufe ihrer klösterlichen Erziehung hatte sie gelernt, dass es nur eine Liebe gab, die Liebe zu Gott. Alles andere war nur niedriger Instinkt, Machwerk des Teufels. Niemals könnte sie nur annähernd für einen Mann ein anderes Gefühl aufbringen als Respekt und Bewunderung, huldvolle Gewährung der Gunst, seine Dienste in Anspruch zu nehmen. Was sonst wohl ist denn das Ziel des Minnedienstes, als dass der Ritter durch ihn zu mutiger Tat befähigt und angeregt würde, seine Kräfte zu erstaunlichen und außerordentlichen Leistungen wachsen zu lassen und ihn in allen Lagen an die Bewährung ritterlicher Tugenden zu binden? Und je ferner und fremder die Angebetete war, umso verehrungswürdiger musste sie ihm doch erscheinen und dem Inbegriff des Ideals entsprechen. Also war es gar nicht von Vorteil, dass sie ihm in schönen Kleidern erschien und vielleicht gar noch ihr Gesicht zeigte. Eitelkeit war nicht angetan. Die Entfernung erhöhte den Anreiz, ließ sie im Wesen verfeinert, ja märchenhaft erscheinen. Die gegenseitige Beeinflussung im Streben nach höherer Vollkommenheit trug zur Verfeinerung der Gesellschaft bei.
Sie schob die Kapuze wieder über ihr blondes Haar. Niemand brauchte zu wissen, dass sie Isabella, Tochter des Herzogs Karl August von Frankenau war.
Isabellas und Mathildas Augen trafen sich, und mit der Sicherheit der vollkommenen Vertrautheit errieten sie gegenseitig ihre Gedanken.
Isabella griff unter ihren Umhang und zog eine Kette mit einem kleinen Medaillon hervor, auf dem der heilige Martin abgebildet war. Er war der Schutzpatron des Klosters, und die Äbtissin hatte Isabella die Kette zum Abschied geschenkt.
»Ich glaube, wir haben einiges zu beichten«, sagte Isabella und hob die Augenbrauen.
»Dabei sind wir erst einige Stunden in Freiheit«, erwiderte Mathilda. Wieder hielt sie sich die Hand vor den Mund. Was redete sie da von Freiheit? Keineswegs war der Aufenthalt im Kloster mit einem Gefängnis zu vergleichen. Der Äbtissin mussten ja die Ohren klingeln!
»An der nächsten Kirche werden wir eine Rast einlegen, um zu beten und zu beichten«, beschloss Isabella, und Mathilda nickte zustimmend.
Nach einigen Stunden Fahrt auf der holprigen Straße, bei der sie im Wagen kräftig durchgeschüttelt wurden, entdeckte Isabella abseits des Weges ein Dorf, in dem ein kleiner, kompakter Kirchturm aufragte. Sie rief den Hauptmann der Eskorte, der neben dem Tross ritt, zu sich heran.
»Wir wollen eine Rast machen, Hauptmann«, sagte Isabella. »Dort drüben liegt
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