Der Kuss
verließ überstürzt das Wohnzimmer.
Michael lag wie erschlagen da, noch völlig im Bann des Kusses, mochte nicht realisieren was gerade passierte.
Da öffnete sich die Tür, und Lukas kam völlig verstört ins Zimmer zurück
„
Du
musst gehen“, erklärte er verwirrt, „Ich
wohne
ja hier.“
Während sich Michael langsam erhob, versuchte seine Gedanken zu sammeln, das eben Geschehene zu verarbeiten, nahm Lukas die DVD aus der Konsole, schichtete die Hüllen von Michaels Spielen und drückte ihm den Stapel wortlos in die Hand.
Eigentlich hatte Michael sie ihm geborgt. Eigentlich war ausgemacht, dass Lukas sie länger behielt, und sie öfter gemeinsam zocken würden.
Irritiert starrte Michael auf die Spielesammlung in seinen Händen, dann zu Lukas, der ihn keines Blickes würdigte. Am liebsten hätte Michael verweigert, die DVDs mitzunehmen. Wenn Lukas ihn zusammengeschlagen hätte, hätte sich das kaum schlimmer anfühlen können als diese kalte Reaktion.
Völlig verdattert, mit einem schmerzhaften Stich im Herzen, ließ sich Michael aus der Wohnung bugsieren. Er drehte sich um, wollte etwas sagen, musterte Lukas bedürftig. Doch dieser hielt den Blick gesenkt, drückte die Tür hinter Michael zu und verriegelte sie.
Flüchtiger Mut
Von drinnen hörte man dumpf und verrucht ein Schlagzeug. Michael schob sich, eingezwängt in der Menschenmenge, vorwärts. Er tat es den anderen gleich und krempelte den Pulli am linken Arm hoch. Mit rasendem Herzschlag reichte er der etwa Fünfundzwanzigjährigen, die gefährliche Tattoos trug, die Eintrittskarte. Sie musterte ihn streng, aber ohne ihn wirklich anzusehen, zerriss das Papier und grapschte grob nach Michaels Arm. Hart, fast schmerzhaft, drückte sie den Gummi des Stempels auf seinen Handrücken und widmete sich schon dem nächsten Besucher hinter ihm.
Sein Herz klopfte wild, als Michael den Stempelabdruck – einen giftgrünen Totenkopf – betrachtete. Mit weichen Knien, eingeschüchtert von all den wild und kreativ aussehenden Leuten, tappte er vorwärts. Er versuchte niemanden allzu offensichtlich anzustarren, lässig zu wirken, als bewege er sich Tag für Tag unter so vielen coolen Menschen. Er fühlte sich naiv und klein, alle hier hatten ein aufregendes Leben – nur er nicht.
Es war das dritte Mal, dass er auf ein Konzert ging, und das erste Mal, dass er es alleine tat. Ungeplant. Ursprünglich hatte er mit Lukas hierher kommen wollen, aber seit diesem Nachmittag vor zwei Wochen herrschte absolute Funkstille zwischen ihnen. Michael hatte öfter bei ihm geläutet, angeklopft, hatte ihm sogar Botschaften mit Post-it's an die Tür geklebt. Mittlerweile hingen dort fünf Nachrichten. Michael hatte sein Ohr an die Wohnungstür gedrückt und mal das Klirren von Geschirr vernommen, dann wieder Musik, ein anderes Mal hatte er Lukas sogar leise sprechen gehört – vielleicht hatte er ja telefoniert? Wenn Michael ihn anrief ging er aber nicht ans Handy, drückte ihn weg.
Michael hatte die Eintrittskarten aufbewahrt – die Garantie, sie wiederzufinden, sei bei ihm um ein Vielfaches höher, hatte Lukas gemeint. Bis zuletzt hatte Michael gehofft, Lukas würde sich doch noch aus seiner Höhle wagen, würde mit ihm auf das Konzert gehen.
'Alleine geh ich nicht'
, hatte er immer wieder gedroht.
Im letzten Moment aber hatte ihn dann doch der Ehrgeiz gepackt, vielleicht war es auch Trotz – er hatte Lukas' Eintrittskarte einfach in die Ritze zwischen Tür und Rahmen geklemmt, und war allein losgezogen. Er würde sich doch von diesem Arsch nicht das Konzert vermasseln lassen, auf das er sich so lange gefreut hatte! Auf dem Weg hierher allerdings hatte er oft für einige Meter die Richtung um hundertachtzig Grad gedreht, hatte ihn der Mut verlassen und er umkehren wollen. Sich im Zimmer verkriechen, und anstatt die Band live zu erleben lieber deren CD einlegen und leiden.
Etwas hilflos trottete Michael zwischen der Halle, dem Foyer, der Ecke mit dem Merchandising, den Toiletten und der Bar herum, die Schultern hochgezogen, die Hände in den Taschen vergraben. Als Anhängsel funktionierte er wunderbar, aber allein? Wohin sollte er gehen – was tun? Er kam sich immer blöder vor, armselig fast, schien doch jeder hier mit Freunden da zu sein. Ganze Rudel, die beisammen standen, grölten, und sich auf das Event einstimmten. Vielleicht war es eine saudumme Idee gewesen, alleine auf dieses Rockkonzert zu gehen. Nicht zum ersten Mal steuerte er entschlossen den
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