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Der Landarzt (German Edition)

Der Landarzt (German Edition)

Titel: Der Landarzt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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aufzuklären.
    »Gehen wir frühstücken. Die Fosseuse brennt vor Ungeduld, dich zu sehen,« sagte Benassis, Adrien einen leichten Klaps auf die Wange gebend.
    »Er ist also nicht lungenleidend?« fragte Genestas den Arzt, ihn beim Arme nehmend und beiseite führend.
    »Nicht mehr als Sie und ich.«
    »Aber was hat er?«
    »Bah!« antwortete Benassis, »er ist in den bösen Jahren, das ist alles.«
    Die Fosseuse zeigte sich auf ihrer Türschwelle, und Genestas sah nicht ohne Ueberraschung ihre zugleich einfache und kokette Kleidung. Das war nicht mehr die Bäuerin des Vortages, sondern eine elegante und anmutige Pariserin, die ihm Blicke zuwarf, denen gegenüber er sich schwach fühlte. Der Soldat wandte die Augen auf einen Nußbaumtisch ohne Tischtuch, der aber so gut gebohnt war, daß er wie gefirnist aussah, und auf dem Eier, Butter, eine Pastete und duftende Walderdbeeren standen. Ueberall hatte das arme Mädchen Blumen hingestellt, die erkennen ließen, daß dieser Tag ein Festtag für sie war. Bei diesem Anblick konnte der Major nicht umhin, Sehnsucht nach diesem bescheidenen Haus und dem Grasgarten zu empfinden; er blickte das Mädchen mit einer Miene an, die zugleich Hoffnungen und Zweifel ausdrückte; dann ließ er seinen Blick wieder auf Adrien fallen, dem die Fosseuse Eier vorsetzte, und beschäftigte sich mit ihm, um seine Haltung zu bewahren.
    »Wissen Sie, Major,« sagte Benassis, »um welchen Preis Sie hier Gastfreundschaft genießen? Sie müssen meiner Fosseuse etwas vom Soldatenleben erzählen.«
    »Erst soll der Herr ruhig frühstücken; wenn er aber seinen Kaffee getrunken ...«
    »Das will ich gewiß gern tun,« antwortete der Major, »nichtsdestoweniger stelle ich eine Bedingung für meine Erzählung: Sie werden uns ein Erlebnis aus Ihrer früheren Existenz erzählen, nicht wahr?«
    »Aber, mein Herr,« antwortete sie, rot werdend, »mir ist niemals etwas begegnet, was sich der Mühe verlohnte, erzählt zu werden. – Willst du noch ein bißchen von der Reispastete da, mein kleiner Freund?« fragte sie, als sie Adriens Teller leer sah.
    »Ja, mein Fräulein!«
    »Die Pastete ist köstlich,« sagte Genestas.
    »Was werden Sie erst zu ihrem Sahnekaffee sagen?« rief Benassis.
    »Lieber möcht' ich unsere hübsche Wirtin hören!«
    »Ei, was ist mir das für ein Benehmen, Genestas?« sagte Benassis. – »Höre, mein Kind,« fuhr der Arzt, sich an die Fosseuse wendend, fort, »der Offizier, den du hier bei dir siehst, verbirgt ein ausgezeichnetes Herz unter einer strengen Außenseite, und du kannst hier nach deinem Belieben reden. Sprich oder schweig, wir wollen dir nicht lästig fallen. Wenn du aber je angehört und verstanden werden kannst, armes Kind, so gewißlich von den drei Leuten, mit denen du im Augenblick zusammen bist. Erzähle nur deine früheren Liebesgeschichten, dann wirst du deinen augenblicklichen Herzensgeheimnissen nichts entziehen.«
    »Da bringt uns Mariette den Kaffee,« antwortete sie. »Wenn Sie sich alle bedient haben, will ich Ihnen gern meine Liebesgeschichten erzählen. – Doch der Herr Major wird auch sein Versprechen nicht vergessen?« fuhr sie fort und warf Genestas einen gleichzeitig bescheidenen und herausfordernden Blick zu.
    »Dessen bin ich unfähig, mein Fräulein,« antwortete Genestas respektvoll.
    »Mit sechzehn Jahren«, sagte die Fosseuse, »sah ich mich, obgleich ich schwächlich war, genötigt, mein Brot auf den Straßen Savoyens zu erbetteln. Ich schlief in Échelles, in einer großen, mit Stroh angefüllten Krippe. Der Gastwirt, der mich dort hausen ließ, war ein guter Mann, seine Frau aber konnte mich nicht ausstehen und beschimpfte mich stets. Das bereitete mir große Not; denn ich war kein schlechtes Bettelweib. Abends und morgens betete ich zu Gott, stahl nicht, ging auf des Himmels Geheiß und bat um etwas Essen, weil ich nichts tun konnte; denn ich war wirklich krank und gänzlich unfähig, eine Hacke aufzuheben oder Wolle abzuspulen. Nun, ich wurde um eines Hundes willen aus der Wirtschaft weggejagt. Seit meiner Geburt ohne Eltern und ohne Freunde, hatten mich niemals Blicke getroffen, die mir wohlgetan hätten. Die gute Frau Morin, die mich aufgezogen hatte, war tot; sie war recht gut zu mir gewesen, aber an ihre Liebkosungen erinnere ich mich kaum mehr. Die arme Alte verrichtete Landarbeit wie ein Mann; und wenn sie mich auch hätschelte, so kriegte ich doch Hiebe mit der Schöpfkelle auf die Finger, wenn ich allzu schnell unsere Suppe aus

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