Der Landarzt (German Edition)
das Leben stiehlt. Kurz, meine Schelme waren verheiratet und glücklich, während ich immer abends beim Essen dort saß, wie ein Trottel, Judith bewunderte, und wie ein Tenor die Blicke erwiderte, die sie mir zuwarf, um mir Sand in die Augen zu streuen. Sie können sich wohl denken, daß sie ihre Täuschungen sehr teuer bezahlt haben. Bei meinem Ehrenwort! Gott schenkt den Dingen dieser Welt viel mehr Aufmerksamkeit, als wir glauben. Schon überflügeln uns die Russen. Der Feldzug von 1813 fängt an. Wir sind überfallen worden. Eines schönen Morgens kommt der Befehl, wir sollen uns zu einer festgesetzten Stunde auf dem Schlachtfelde von Lützen einfinden. Der Kaiser wußte genau, was er tat, als er uns sofort aufzubrechen befahl. Die Russen hatten uns umzingelt. Unser Oberst ist so kopflos, einer Polin, die eine Achtelmeile vor der Stadt wohnte, Lebewohl sagen zu wollen, und die Vorhut der Kosaken packt ihn gerade dabei, ihn und sein Pikett. Wir haben nur Zeit zum Aufsitzen, uns vor der Stadt zu formieren, um ein Kavalleriescharmützel zu liefern und meine Russen zurückzutreiben, um uns während der Nacht drücken zu können. Zwei Stunden lang haben wir Angriffe gemacht und wahre Kraftstücke verrichtet. Während wir uns schlugen, nahmen das Gepäck und unser Material die Spitze. Wir hatten einen Artilleriepark und große Pulvervorräte, die der Kaiser bitter nötig hatte, wir mußten sie ihm um jeden Preis bringen. Unsere Verteidigung machte Eindruck auf die Russen, die uns von einem Armeekorps unterstützt wähnten. Nichtsdestoweniger wurden sie bald von ihren Spähern über ihren Irrtum aufgeklärt und erfuhren, daß sie es nur mit einem Kavallerieregiment und unseren Infanteriedepots zu tun hatten. Da, mein Herr, machten sie gegen Abend einen Angriff, um alles zu vernichten, und zwar einen so hitzigen, daß viele von uns dort geblieben sind. Wir wurden umzingelt. Ich war mit Renard in vorderster Reihe und sah meinen Renard sich wie einen Teufel schlagen und angreifen; denn er dachte an sein Weib. Ihm war's zu verdanken, daß wir die Stadt erreichen konnten, die unsere Kranken in Verteidigungszustand versetzt hatten; aber es war jammervoll! Wir kehrten als die letzten zurück, er und ich; fanden unseren Weg durch einen Haufen Kosaken versperrt, und wir ritten hinein. Einer der wilden Kerle will mich mit seiner Lanze kitzeln, Renard sieht es, treibt, um den Stich abzuwehren, sein Pferd zwischen uns beide. Sein armes Tier, ein schöner Gaul, meiner Treu!, erhielt den Stoß und reißt, zu Boden fallend, Renard und den Kosaken mit sich. Ich töte den Kosaken, packe Renard beim Arm und lege ihn wie einen Mehlsack vor mich quer über mein Pferd.
›Ade, Hauptmann, alles ist zu Ende ...‹ sagt Renard zu mir.
›Nein,‹ antworte ich ihm, ›wir wollen sehen.‹
Ich war da in der Stadt, springe ab und setze ihn in eine Hausecke auf ein bißchen Stroh. Sein Schädel war eingeschlagen worden, das Hirn hing in den Haaren und er redete! ... Oh, er war ein tapferer Mann!
›Wir sind quitt!‹ sagte er. ›Ich habe Ihnen mein Leben gegeben, ich hatte Ihnen Judith genommen. Tragen Sie Sorge für sie und ihr Kind, wenn sie eins hat. Im Uebrigen heiraten Sie sie.‹
In der ersten Erregung, mein Herr, ließ ich ihn dort liegen wie einen Hund; als meine Wut aber verraucht war, kehrte ich zurück ... Er war tot. Die Kosaken hatten Feuer an die Stadt gelegt; da erinnerte ich mich Judiths, suchte sie also, ließ sie hinter mir aufsitzen und erreichte dank der Schnelligkeit meines Pferdes das Regiment, das seinen Rückzug bewerkstelligt hatte. Was den Juden und seine Familie anlangte: kein Mensch war mehr da, alles wie Ratten verschwunden. Judith allein wartete auf Renard; anfangs, Sie verstehen, hab' ich ihr nichts gesagt. Ich mußte inmitten all der unglücklichen Ereignisse des Feldzugs von 1813 an dies Weib denken, sie unterbringen, für ihre Bequemlichkeit sorgen, kurz, sie pflegen, und ich glaube, sie hat nicht viel gemerkt von dem Zustande, in welchem wir uns befanden. Ich achtete darauf, daß sie immer zehn Meilen vor uns auf dem Wege nach Frankreich war; während wir uns bei Hanau schlugen, ist sie mit einem Jungen niedergekommen. In dieser Schlacht wurde ich verwundet, in Straßburg stieß ich zu Judith, dann kehrte ich nach Paris zurück; denn ich habe das Unglück gehabt, während der Kampagne in Frankreich im Bett zu liegen. Ohne diesen traurigen Zufall wäre ich zu den Gardegrenadieren gekommen, der Kaiser hatte
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