Der Landarzt (German Edition)
hatte sich nicht gerötet, seine kleinen Augen blieben ruhig.
»Nun gut, Herr, ich bin gerichtlich angewiesen worden, ihm die Gerste zum letzten Winterpreise zu zahlen, aber ich glaube, daß ich sie nicht schuldig bin.«
»Höre, Taboureau, liefere deine Gerste ganz schnell, oder rechne nie mehr auf jemandes Schätzung. Selbst wenn du derartige Prozesse gewinnen solltest, würdest du für einen Mann ohne Treu und Glauben, würdest du für wortbrüchig und für ehrlos gelten ...«
»Nur unbesorgt! Sagen Sie mir, daß ich ein Schelm, ein Lump, ein Dieb bin. Im Geschäftsleben sagt man das, Herr Bürgermeister, ohne jemanden damit zu beleidigen. Im Geschäftsleben, sehen Sie, steht jeder für sich.«
»Nun, warum bringst du dich freiwillig in die Lage, derartige Bezeichnungen zu verdienen?«
»Aber, Herr, wenn das Gesetz für mich ist?« ...
»Aber das Gesetz wird nicht für dich sein ...«
»Sind Sie dessen sicher, Herr, ganz, ganz sicher? Denn, sehen Sie, die Sache ist wichtig.«
»Gewiß bin ich dessen sicher. Wenn ich nicht bei Tische säße, würd' ich dich das Gesetzbuch lesen lassen. Doch, wenn der Prozeß stattfindet, wirst du ihn verlieren und nie wieder einen Fuß in mein Haus setzen. Leute, die ich nicht schätze, will ich nicht bei mir sehen. Hörst du, du wirst deinen Prozeß verlieren.«
»Ach nein, nein, Herr, ich werd' ihn nicht verlieren,« sagte Taboureau; »sehen Sie, Herr Bürgermeister, der Mann aus Saint-Laurent schuldet mir die Gerste; ich hatte sie ihm abgekauft und er verweigert mir die Lieferung. Ich wollte ganz sicher sein, ob ich gewänne, ehe ich mich beim Gerichtsvollzieher in Kosten stürze.«
Genestas und der Arzt sahen sich an und verbargen die Ueberraschung, welche ihnen die von dem Manne erfundene sinnreiche Art, die Wahrheit über diesen Rechtsfall zu erfahren, bereitete.
»Schön, Taboureau, dein Mann kennt weder Treu noch Glauben, und von solchen Leuten soll man nichts kaufen!«
»Ah! Herr, diese Leute verstehen sich auf Geschäfte!«
»Leb wohl, Taboureau.«
»Ihr Diener, Herr Bürgermeister und die Gesellschaft.«
»Nun,« sagte Benassis, als der Wucherer fort war, »glauben Sie, daß der Mann in Paris nicht bald Millionär sein würde?«
Als das Essen beendigt war, kehrten der Arzt und sein Pensionär in den Salon zurück, wo sie den Rest des Abends über, auf die Schlafensstunde wartend, von Krieg und Politik sprachen, eine Unterhaltung, bei der Genestas die lebhafteste Abneigung gegen die Engländer bekundete.
»Darf ich wissen, mein Herr,« fragte der Arzt, »wen ich die Ehre habe, als Gast bei mir zu sehen?«
»Ich heiße Pierre Bluteau,« antwortete Genestas, »und bin Rittmeister in Grenoble.«
»Gut, mein Herr. Wollen Sie Monsieur Graviers Lebensweise befolgen? Morgens, nach dem Frühstück, machte es ihm Vergnügen, mich auf meinen Ritten in die Umgebung zu begleiten. Es ist nicht ganz sicher, ob Sie Vergnügen an den Dingen finden, mit welchen ich mich beschäftige, so alltäglich sind sie. Schließlich sind Sie weder Grundbesitzer noch Dorfbürgermeister und werden in dem Bezirk nichts sehen, was Sie nicht schon anderswo gesehen haben; all die Hütten sehen sich ähnlich, immerhin werden Sie Luft schöpfen und Ihrer Promenade ein Ziel geben.«
»Nichts bereitet mir mehr Vergnügen als dieser Vorschlag, und aus Angst, Ihnen lästig zu sein, wagte ich's nicht, ihn Ihnen schon zu machen.«
Major Genestas, für den dieser Name trotz seiner wohlerwogenen Pseudonymität beibehalten werden soll, wurde von seinem Wirte in ein im ersten Stock über dem Salon gelegenes Zimmer geführt.
»Schön,« sagte Benassis, »Jacquotte hat Ihnen Feuer gemacht. Wenn Sie irgend etwas brauchen, so befindet sich am Kopfende Ihres Bettes ein Klingelzug.«
»Ich glaube nicht, daß mir das geringste fehlen kann,« rief Genestas. »Da ist sogar ein Stiefelknecht. Man muß ein alter Kommißsoldat sein, um den Wert eines solchen Möbels zu kennen! – Im Kriege, mein Herr, gibt's mehr als einen Augenblick, wo man ein Haus niederbrennen würde, um so einen verdammten Stiefelknecht zu kriegen ... Nach mehreren Märschen und besonders nach einem Kampf, kommt es vor, daß der im nassen Leder angeschwollene Fuß keiner Anstrengung nachgibt; auch hab' ich mehr als einmal in meinen Stiefeln geschlafen. Wenn man allein ist, läßt sich das Unglück noch ertragen ...«
Der Major zwinkerte mit den Augen, um diesen letzten Worten einen gewissen pfiffigen Sinn zu verleihen. Dann schickte
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