Der Landarzt (German Edition)
er sich an, nicht ohne Ueberraschung, ein Zimmer zu betrachten, wo alles bequem, sauber und beinahe reich war.
»Welch ein Luxus!« sagte er. »Sie müssen wunderschön logiert sein!«
»Sehen Sie sich's an,« sagte der Arzt, »ich bin Ihr Nachbar, wir sind nur durch die Treppe getrennt.«
Genestas war ziemlich verdutzt, als er das Zimmer des Arztes betrat und einen nackten Raum sah, dessen Wände als ganzen Schmuck eine stellenweise abgeblaßte gelbliche Papiertapete mit braunen Rosetten zeigten. Das grob lackierte Eisenbett, überragt von einer hölzernen Bettstange, von der zwei Vorhänge aus grauem Kaliko herabfielen, und vor dem ein elender fadenscheiniger Teppich lag, glich einem Hospitalbett. Am Kopfende stand einer jener vierbeinigen Nachttische, deren Vorderseite auf- und zugerollt wird und dabei ein klapperndes Geräusch wie von Kastagnetten macht. Drei Stühle, zwei Strohsessel, eine Nußbaumkommode, auf der ein Waschbecken und ein sehr alter Wasserkrug standen, dessen Deckel durch eine Bleieinfassung an dem Gefäße befestigt war, vervollständigten den Hausrat. Das Feuerloch des Kamins war kalt, und alle zum Rasieren notwendigen Dinge lagen unordentlich auf dem gestrichenen Steine des Gesimses vor einem alten, an einem Bindfadenende aufgehängten Spiegel herum. Der sauber gefegte Fliesenboden war an mehreren Stellen abgenutzt, zerbrochen und ausgehöhlt. Vorhänge aus grauem Kaliko mit grünen Fransen am Rande schmückten die beiden Fenster. Alles, bis auf den runden Tisch, auf dem einige Papiere, ein Schreibzeug und Federn herumlagen, alles in diesem einfachen Gemälde, dem die äußerste, von Jacquotte durchgeführte Sauberkeit eine Art Verbesserung aufdrückte, machte den Eindruck eines fast mönchischen Lebens, das den Dingen gegenüber gleichgültig und voll Innerlichkeit war. Eine offene Tür ließ den Major in ein Kabinett sehen, worin der Arzt sich zweifelsohne sehr selten aufhielt. Dieser Raum befand sich in einem fast ähnlichen Zustande wie das Schlafzimmer. Einige staubige Bücher lagen dort auf staubigen Brettern zerstreut, und mit etikettierten Flaschen bestandene Regale ließen erraten, daß die Pharmazie dort mehr Platz einnahm als die Wissenschaft.
»Sie wollen mich fragen, warum ein solcher Unterschied zwischen Ihrem Zimmer und dem meinen besteht?« fuhr Benassis fort. »Sehen Sie, ich habe mich stets für die geschämt, die ihre Gäste unter den Dächern unterbringen, und ihnen Spiegel geben, die einen derartig entstellen, daß man, wenn man hineinschaut, sich entweder für größer oder kleiner, als man ist, oder für krank oder apoplektisch halten kann. Muß man sich nicht bemühen, daß seine Freunde ihre zeitweilige Behausung so angenehm wie möglich finden? Gastfreundschaft scheint mir eine Tugend, ein Glück und ein Luxus zugleich zu sein; doch muß man nicht, von welchem Gesichtspunkt aus man sie auch betrachtet, ohne den Fall auszuschließen, wo sie eine Spekulation ist, für seinen Gast und für seinen Freund alle kleinen Annehmlichkeiten des Lebens aufmarschieren lassen? Bei Ihnen also die schönen Möbel, der warme Teppich, die Draperien, die Standuhr, die Handleuchter und das Nachtlicht; für Sie die Kerze, für Sie Jacquottes Sorgfalt, die Ihnen zweifelsohne neue Pantoffeln, Milch und ihre Wärmflasche gebracht hat. Ich hoffe, Sie werden niemals besser gesessen haben als in dem weichen Sessel, der von dem seligen Pfarrer, ich weiß nicht wo, ausgegraben worden ist. Wahrlich in allen Dingen muß man, um den Vorbildern des Guten, Schönen und Bequemen zu begegnen, seine Zuflucht zur Kirche nehmen. Kurz, ich hoffe, daß Ihnen in Ihrem Zimmer alles gefallen wird. Sie werden dort gute Rasiermesser, ausgezeichnete Seife, und all die kleinen Requisiten finden, die einem sein Zuhause zu etwas so Süßem machen. Doch, mein lieber Monsieur Bluteau, selbst wenn meine Meinung über die Gastfreundschaft nicht bereits den Unterschied erklären würde, der zwischen unsern Zimmern besteht, so werden Sie zweifelsohne die Kahlheit meines Zimmers und die Unordnung in meinem Kabinett sehr gut begreifen, wenn Sie morgen Zeuge des Kommens und Gehens sein werden, das bei mir stattfindet. Vor allem führe ich kein Stubenhockerleben, ich bin immer draußen. Wenn ich im Hause bleibe, kommen die Bauern alle Augenblicke, um mich zu sprechen, ich gehöre ihnen mit Leib, Seele und Zimmer. Kann ich mich um Etikette und um die unvermeidlichen Schäden kümmern, welche die guten Leute unwillkürlich
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