Der Landarzt (German Edition)
Kurz, er liebt die Gefahr wie ein anderer den Schlaf liebt. Durch den vielfachen Genuß der Freuden, welche außergewöhnliche Sensationen erregen, hat er sich außerhalb des gewöhnlichen Lebens gestellt. Ich, ich will nicht, daß ein solcher Mensch, indem er ganz allmählich auf eine schiefe Ebene gerät, ein Räuber wird und auf dem Schafott stirbt. Doch, sehen Sie, Rittmeister, wie sich unser Flecken präsentiert?«
Von weitem erblickte Genestas einen großen, runden, mit Bäumen bepflanzten Platz, in dessen Mitte sich ein von Pappeln umstandener Springbrunnen befand. Seine Einfriedigung war durch Böschungen bezeichnet, auf denen sich drei Reihen verschiedener Baumarten erhoben: erst Akazien, dann japanische Firnisbäume und oben auf der Bekrönung kleine Ulmen.
»Das ist der Platz, wo unser Jahrmarkt abgehalten wird,« sagte Benassis. »Dann fängt da die Hauptstraße an mit den beiden schönen Häusern, von denen ich Ihnen erzählt habe, dem des Friedensrichters und dem des Notars.«
Sie ritten nun in eine breite, ziemlich sorgfältig mit großen Kieseln gepflasterte Straße ein; jede ihrer Seiten wurde von etwa hundert neuen Häusern gebildet, die fast alle durch Gärten voneinander getrennt waren. Die Kirche, deren Portal eine hübsche Perspektive bildete, schloß diese Straße ab, in deren Mitte neuerdings zwei andere angelegt worden waren, an denen sich bereits mehrere Häuser erhoben. Die auf dem Kirchplatze gelegene Bürgermeisterei erhob sich dem Pfarrhaus gegenüber. Je tiefer Benassis in den Ort hineinritt, desto mehr Frauen, Kinder und Männer, deren Tagewerk beendigt war, kamen vor ihre Türen; die einen nahmen vor ihm die Mützen ab, die anderen sagten ihm guten Tag, die kleinen Kinder schrien und sprangen um sein Pferd herum, wie wenn die Güte des Tieres ihnen ebenso bekannt wäre wie die des Herrn. Es herrschte eine stille Fröhlichkeit, die, ähnlich allen tiefen Gefühlen, ihre besondere Schamhaftigkeit und ihre mitteilsame Anziehungskraft besaß. Als Genestas sah, welchen Empfang man dem Arzte bereitete, dachte er, daß dieser am Vorabend zu bescheiden in der Art und Weise gewesen sei, in der er ihm die Zuneigung der Bewohner des Bezirkes zu ihm geschildert hatte. Das war gewiß das mildeste der Königtümer, das, dessen Ehrentitel in den Herzen der Untertanen geschrieben stehen, ein wahres Königtum übrigens. Wie mächtig auch der Ruhm oder die Macht strahlen, deren sich ein Mensch erfreut, seine Seele hat sich bald ein richtiges Urteil über die Gefühle gebildet, die ihm jede äußere Tätigkeit verschafft; und er wird sich schnell klar über seine tatsächliche Nichtigkeit, indem er keine Veränderung, nichts Neues, nichts Größeres in der Ausübung seiner physischen Fähigkeiten entdeckt. Gehörte ihnen auch die Welt, so sind die Könige doch dazu verdammt wie die übrigen Menschen in einem kleinen Kreise zu leben, dessen Gesetzen sie unterworfen sind, und ihr Glück hängt von persönlichen Eindrücken ab, die sie dort haben. Benassis aber stieß überall im Bezirke nur auf Gehorsam und Freundschaft.
III
Der Napoleon des Volkes
Kommen Sie denn endlich, Monsieur!« sagte Jacquotte. »Die Herren erwarten Sie schon hübsch lange. 's ist immer das gleiche. Immer, wenn's gut werden soll, sorgen Sie dafür, daß mein Essen mißrät. Jetzt ist alles zu Mus verkocht ...«
»Nun, wir sind ja da,« antwortete Benassis lächelnd.
Die beiden Reiter stiegen vom Pferde und wandten sich nach dem Salon, wo sich die vom Doktor eingeladenen Personen aufhielten.
»Meine Herren,« sagte er, Genestas bei der Hand nehmend, »ich habe die Ehre, Ihnen Monsieur Bluteau, Rittmeister des in Grenoble garnisonierenden Kavallerieregimentes, vorzustellen, einen alten Soldaten, der mir versprochen hat, einige Zeit unter uns zu verweilen.«
Sich dann an Genestas wendend, zeigte er ihm einen großen, hageren, grauhaarigen Mann in schwarzem Anzug.
»Dieser Herr«, sagte er zu ihm, »ist Monsieur Dufau, der Friedensrichter, von dem ich Ihnen bereits erzählt habe, und der so wacker am Gedeihen der Gemeinde mitgeholfen hat. Und dies,« fuhr er fort, ihm einen mageren, blassen, gleichfalls schwarzgekleideten jungen Mann von mittlerer Figur vorstellend, der eine Brille trug, »ist Monsieur Tonnelet, Monsieur Graviers Schwiegersohn, der erste Notar, der sich im Flecken niedergelassen hat.«
Sich dann zu einem großen, halb bäurisch, halb bürgerlichen Manne mit plumpem, finnigem aber recht gutmütigem Gesichte
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