Der Landarzt (German Edition)
letzteren. Meine erste Zuneigung war anfangs keine wahre Leidenschaft, ich folgte meinem Instinkt und nicht meinem Herzen. Ich opferte ein armes Mädchen mir selbst auf, und es fehlte mir nicht an ausgezeichneten Gründen, mich zu überreden, daß ich nichts Schlechtes tat. Was sie anlangte, so war sie die Hingebung selber, besaß ein goldenes Herz, einen gesunden Verstand und eine schöne Seele. Stets hat sie mir nur ausgezeichnete Ratschläge gegeben, Anfangs feuerte ihre Liebe meinen Mut an, dann veranlaßte sie mich langsam, meine Studien wieder aufzunehmen, indem sie an mich glaubte, mir Erfolge, Ruhm und Vermögen voraussagte. Heute ist die medizinische Wissenschaft mit allen Wissenschaften verknüpft, und sich in ihr auszeichnen, ist ein sehr schwer zu erlangender, aber gut belohnter Ruhm. In Paris bedeutet Ruhm immer Geld. Das gute junge Mädchen vergaß sich über mich, teilte mein Leben in all seinen Launen, und ihre Sparsamkeit ließ uns Luxus in meiner bescheidenen Lage finden. Als wir zu zweit waren, hatte ich mehr Geld für meine Launen wie damals, wo ich allein war. Dies, mein Herr, war meine schönste Zeit. Ich arbeitete mit Eifer, hatte ein Ziel, war ermutigt; ich teilte meine Gedanken und meine Handlungen einem Wesen mit, das sich Liebe zu erwerben, und mehr noch, mir durch die Klugheit, die sie in einer Lage entfaltete, wo Klugheit unmöglich erscheint, eine hohe Schätzung einzuflößen verstand. Doch alle meine Tage glichen sich. Diese Monotonie des Glücks, der köstlichste Zustand, den es auf Erden gibt und dessen Wert erst nach allen Stürmen des Herzens geschätzt wird, dieser süße Zustand, in welchem es keine Lebensmüdigkeit mehr gibt, wo die geheimsten Gedanken ausgetauscht werden, wo man verstanden wird, dies Glück nun wurde einem heißblütigen Menschen, der nach sozialen Auszeichnungen lüstern ist, der es satt ist, dem Ruhme nachzujagen, weil er zu langsamen Schrittes geht, bald zur Last. Meine alten Träume drangen wieder auf mich ein. Ungestüm verlangte ich nach den Freuden des Reichtums, und forderte sie im Namen der Liebe. Naiv tat ich solche Wünsche kund, wenn ich abends von einer lieben Stimme in dem Augenblicke gefragt wurde, wo ich mich, melancholisch und nachdenklich, in die Wollüste eines eingebildeten Ueberflusses vertiefte. Zweifelsohne machte ich dann das süße Geschöpf, das sich meinem Glücke geweiht hatte, seufzen. Für sie war es der heftigste Kummer, mich irgend etwas wünschen zu sehen, was sie mir nicht sofort geben konnte. Oh, mein Herr, die Aufopferung des Weibes ist erhaben!«
Dieser Ausruf des Arztes verriet eine geheime Bitterkeit; denn er verfiel in eine vorübergehende Träumerei, die Genestas respektierte.
»Nun, mein Herr,« begann Benassis wieder, »ein Ereignis, das diese eingegangene Ehe hätte sichern müssen, zerstörte sie und war die erste Ursache meiner Unglücksfälle. Mein Vater starb und hinterließ ein beträchtliches Vermögen; die Erbschaftsregelung rief mich für einige Monate nach dem Languedoc und ich reiste allein hin. Ich fand also meine Freiheit wieder. Jede Verpflichtung, selbst die süßeste, drückt in jungen Jahren: man muß das Leben erprobt haben, um die Notwendigkeit eines Jochs und die der Arbeit zu erkennen. Ich empfand mit der Lebhaftigkeit eines Kindes des Languedocs das Vergnügen, zu kommen und zu gehen, selbst ohne freiwillig über mein Tun irgend jemand Rechenschaft ablegen zu müssen. Wenn ich auch die Bande, die ich geknüpft hatte, nicht völlig vergaß, so war ich doch mit Interessen beschäftigt, die mich davon abhielten, und unmerklich schwand die Erinnerung an sie. Nicht ohne ein peinliches Gefühl dachte ich daran, sie nach meiner Rückkehr wieder aufzunehmen; dann fragte ich mich, warum sie wieder aufnehmen. Währenddem erhielt ich Briefe, die durchdrungen waren von einer wahren Zärtlichkeit; doch mit zweiundzwanzig Jahren hält ein junger Mann alle Frauen für gleich zärtlich; er weiß noch nicht zwischen Herz und Leidenschaft zu unterscheiden; er vermengt alles in den Sensationen des Vergnügens, die anfangs alles zu umfassen scheinen. Später, viel später erst, als ich die Menschen und die Tatsachen besser kannte, habe ich den wirklichen Adel in diesen Briefen zu schätzen gewußt, worin sich niemals etwas Persönliches mit dem Ausdrucke der Gefühle vermischte, worin man sich für mich meines Vermögens freute, worin man sich seinetwegen darüber beklagte, worin man nicht die Vermutung
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