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Der Landarzt (German Edition)

Der Landarzt (German Edition)

Titel: Der Landarzt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Vielleicht muß man die Freiheit genossen haben, um ihren Wert voll zu begreifen. Die Erinnerungen meiner freien Kindheit waren durch den Druck der Gymnasiumslangeweile, die mein Gemüt noch nicht abgeschüttelt hatte, fast vernichtet worden; ferner zeigten mir meines Vaters Empfehlungen neue Aufgaben, die ich zu erfüllen hatte, endlich war Paris ein Rätsel für mich, und man unterhielt sich dort nicht, ohne seine Vergnügungen studiert zu haben. Ich sah also keinen Wechsel in meiner Lage, außer daß mein neues Gymnasium größer war und sich Medizinschule nannte. Nichtsdestoweniger studierte ich anfangs mutig drauflos und besuchte die Kurse mit Ausdauer. Ich stürzte mich Hals über Kopf in die Arbeit, ohne mich zu zerstreuen, so sehr setzten die Schätze der Wissenschaft, an denen die Hauptstadt Ueberfluß besitzt, meine Einbildungskraft in Erstaunen. Bald aber ließen mich unkluge Beziehungen, deren Gefahren durch jene blind vertrauende Freundschaft, die alle jungen Leute verführt, verschleiert waren, unmerklich den Pariser Zerstreuungen verfallen. Die Theater, ihre Schauspieler, für die ich leidenschaftlich schwärmte, begannen das Werk meiner Demoralisation. Die Theater einer Hauptstadt sind sehr verhängnisvoll für junge Leute, diese verlassen sie niemals ohne lebhafte Erregungen, gegen die sie fast immer fruchtlos ankämpfen; auch scheinen mir die Gesellschaft und die Gesetze mit an den Ausschweifungen, die sie dann begehen, schuldig zu sein. Unsere Gesetzgebung hat den Leidenschaften gegenüber, die den jungen Mann zwischen zwanzig und fünfundzwanzig Jahren peinigen, sozusagen die Augen zugedrückt. In Paris stürmt alles auf ihn ein; seine Begierden werden unaufhörlich gereizt; die Religion predigt ihm das Gute, die Gesetze empfehlen es ihm, während Dinge und Sitten ihn zum Bösen einladen. Machen sich dort nicht der ehrenwerteste Mann und die frömmste Frau über die Enthaltsamkeit lustig? Kurz, die große Stadt scheint es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, nur die Laster zu ermutigen; denn die Hindernisse, welche sich dem Zugang zu Berufen entgegenstellen, in denen ein junger Mann in anständiger Weise sein Glück machen könnte, sind noch zahlreicher als die Schlingen, die überall für seine Leidenschaften ausgelegt sind, um ihm sein Geld wegzunehmen. Lange Zeit ging ich also allabendlich in irgendein Theater und gewöhnte mich nach und nach ans Nichtstun. Ich paktierte innerlich mit meinen Pflichten und verschob oft meine dringendsten Geschäfte auf den anderen Tag. Statt danach zu trachten, mich zu unterrichten, unterzog ich mich bald nur noch den Arbeiten, die zur Erreichung der für die Ausübung meines Berufes notwendigen Grade unumgänglich nötig waren. Oeffentliche Vorlesungen hörte ich bei keinem der Professoren mehr; denn meiner Meinung nach faselten sie. Ich zertrümmerte bereits meine Götter, ich wurde Pariser. Kurz, ich führte das unsichere Leben eines jungen Mannes aus der Provinz, der, in die Hauptstadt versetzt, noch einige echte Gefühle bewahrt, noch an gewisse Moralgesetze glaubt, sich aber durch schlechte Beispiele verdirbt, während er sich noch vor ihnen schützen will. Ich verteidigte mich schlecht, ich hatte Mitschuldige in mir selber. Ja, mein Herr, meine Physiognomie trügt nicht; ich bin all den Leidenschaften unterworfen gewesen, deren Spuren mir geblieben sind. Ich bewahrte indessen auf dem Grunde meines Herzens ein Gefühl moralischer Vollkommenheit, das mich inmitten meiner Ausschweifungen verfolgte, und das durch Ueberdruß und Gewissensbisse den Mann, der in den reinen Gewässern der Religion seinen Durst gelöscht hatte, zu Gott zurückführen mußte. Wird nicht, wer die Wollüste der Erde lebhaft fühlt, früher oder später von dem Geschmack der Früchte des Himmels angezogen? Anfangs empfand ich die tausend Glückseligkeiten und Hoffnungslosigkeiten, die mehr oder minder lebendig in allen jungen Menschen vorhanden sind; bald hielt ich das Gefühl meiner Kraft für einen festen Willen und täuschte mich über das Maß meiner Fähigkeiten; bald fiel ich angesichts der schwächsten Klippe, an die ich mich stoßen mußte, tiefer, als ich natürlicherweise fallen mußte; ich faßte die größten Pläne, träumte von Ruhm und schickte mich zur Arbeit an; eine Lustpartie aber beseitigte diese edlen Anwandlungen. Die unbestimmte Erinnerung an meine verunglückten großen Pläne ließ in mir einen trügerischen Glanz zurück, der mich gewöhnte, an mich selbst zu

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