Der Landarzt (German Edition)
Ursache. Dies junge Mädchen gehörte einer außerordentlich frommen Familie an, deren katholische Meinungen auf den Geist einer fälschlicherweise Jansenisten genannten Sekte zurückzuführen waren, die einst Verwirrungen in Frankreich hervorrief; Sie wissen, warum?«
»Nein ...« sagte Genestas.
»Jansenius, Bischof von Ypern, schrieb ein Buch, worin man Behauptungen zu finden glaubte, die nicht im Einklang mit den Doktrinen des heiligen Stuhles standen. Später schienen die Behauptungen des Textes keine Ketzereien mehr zu sein; einige Schriftsteller gingen sogar so weit, die materielle Existenz der Maximen zu leugnen. Diese nichtigen Streitereien ließen in der gallikanischen Kirche zwei Parteien, die der Jansenisten und die der Jesuiten entstehen. Auf beiden Seiten fanden sich bedeutende Männer. Es war ein Kampf zwischen zwei mächtigen Körperschaften. Die Jansenisten beschuldigten die Jesuiten, eine allzu laxe Moral zu lehren, und strebten nach einer übermäßigen Reinheit der Sitten und Prinzipien. Die Jansenisten waren also in Frankreich eine Art katholischer Puritaner, wenn diese beiden Begriffe sich vereinigen lassen sollten. Während der französischen Revolution bildete sich infolge des wenig bedeutenden Schismas, das das Konkordat hervorrief, eine Kongregation feiner Katholiken, welche die durch die revolutionäre Gewalt und die Zugeständnisse des Papstes eingesetzten Bischöfe nicht anerkannten. Diese Schar von Gläubigen bildete, was man die ›kleine Kirche‹ nennt, deren Schäflein gleich den Jansenisten jene musterhafte Lebensregelmäßigkeit anstrebten, welche für die Existenz aller verfolgten und geächteten Sekten ein notwendiges Gesetz zu sein scheint. Mehrere jansenistische Familien gehörten der kleinen Kirche an. Des jungen Mädchens Eltern hatten diese beiden in gleicher Weise strengen Puritanerlehren angenommen, welche dem Charakter und der Physiognomie etwas Ehrfurchtgebietendes verleihen; denn es ist die Eigentümlichkeit absoluter Doktrinen, die einfachsten Handlungen zu vergrößern, indem sie sie an das zukünftige Leben anknüpfen: daher kommt jene prächtige und süße Herzensreinheit, jene Ehrfurcht vor anderen und vor sich selbst, daher, ich weiß nicht welches empfindliche Gefühl für Recht und Unrecht, ferner eine große Nächstenliebe, aber auch die strikte und, um alles zu sagen, unversöhnliche Gerechtigkeit, endlich ein tiefer Abscheu vor den Lastern, besonders vor der Lüge, die sie alle umfaßt. Ich erinnere mich nicht, köstlichere Augenblicke als die gekannt zu haben, während welcher ich zum ersten Male bei meinem alten Freunde das wahrhafte, schüchterne, an jeden Gehorsam gewöhnte junge Mädchen bewunderte, in der alle dieser Sekte eigentümlichen Tugenden erglänzten, ohne daß sie darum irgendwie stolz darauf war. Ihre biegsame und schlanke Figur verlieh ihren Bewegungen eine Anmut, die ihre Sittenstrenge nicht verringern konnte. Ihr Gesichtsschnitt besaß die Vornehmheit und ihre Züge wiesen die Feinheit einer jungen Person aus adliger Familie auf. Ihr Blick war sanft und stolz zugleich; ihre Stirn war ruhig; dann umgab ihren Kopf eine Flut von einfach geflochtenen Haaren, die ihr, ohne daß sie es wußte, als Schmuck dienten. Kurz, Hauptmann, sie zeigte mir den Typus einer Vollendung, den wir immer in der Frau finden, in die wir verliebt sind; muß man nicht, um sie zu lieben, die Merkmale jener erträumten Schönheit an ihr finden, die mit unseren besonderen Vorstellungen übereinstimmt? Wenn ich das Wort an sie richtete, erwiderte sie einfach, ohne Eifer und falsche Scham, da sie das Vergnügen nicht kannte, welches die Harmonien ihres Organs und ihre äußeren Vorzüge hervorriefen. Alle solche Engel besitzen die nämlichen Merkmale, an denen sie das Herz erkennt: die nämliche sanfte Stimme, den nämlichen zärtlichen Blick, die nämliche weiße Haut und etwas Anziehendes in den Bewegungen. Diese guten Eigenschaften harmonieren miteinander, passen zusammen und gehen ineinander auf, um uns zu entzücken, ohne daß wir uns klarmachen können, worin der Reiz besteht. Eine göttliche Seele strömt aus allen Bewegungen aus. Ich liebte leidenschaftlich. Diese Liebe erweckte die Gefühle, die mich einst erregten: Ehrgeiz, Glück, kurz alle meine Träume wieder und befriedigte sie. Das junge Mädchen war schön, vornehm, reich und wohlerzogen und besaß die Vorzüge, welche die Welt bei einer Frau, die in die hohe Stellung, die ich erstreben wollte, kommt,
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