Der Landarzt (German Edition)
erprobt und verstanden, die geliebte Frau mußte immer in meinen Handlungen und in meinen Gedanken voranstehen. Ich fand Gefallen daran, in der Einbildung eine Liebe zu empfinden, die jene Stufe der Gewißheit erreicht hatte, wo die Gefühlserregungen zwei Wesen so sehr durchdringen, daß das Glück in das Leben, in die Blicke und in die Worte übergegangen ist und keine Erschütterung mehr verursacht. Solche Liebe bedeutet dann fürs Leben, was das religiöse Gefühl für die Seele bedeutet, sie beseelt, stützt und erhellt. Die eheliche Liebe verstand ich anders, als sie die meisten Männer verstehen, und fand, daß ihre Schönheit, daß ihre Herrlichkeit genau in jenen Dingen beruht, die sie in einer Menge Ehen ersterben lassen. Lebhaft fühlte ich die moralische Erhabenheit eines Lebens zu zweien, welches so innig geteilt wird, daß die gewöhnlichsten Handlungen für die Fortdauer der Gefühle keinerlei Hindernis bedeuten. Wo aber Herzen begegnen, deren Schlag isochron – verzeihen Sie mir diesen wissenschaftlichen Ausdruck – genug ist, um zu solchem himmlischen Bunde zu gelangen? Wenn es ihrer gibt, so schleudern Natur oder Zufall sie so weit auseinander, daß sie sich nicht vereinigen können, sich zu spät kennenlernen oder zu früh durch den Tod geschieden werden. Dieses Verhängnis muß einen Sinn haben, aber ich habe ihn nie erforscht. Ich leide zu sehr an meiner Wunde, um sie zu studieren. Vielleicht ist das vollkommene Glück ein Monstrum, das unsere Spezies nicht fortpflanzen würde. Meine Sehnsucht nach einer derartigen Ehe wurde durch andere Gründe hervorgerufen. Ich hatte keine Freunde. Für mich war die Welt einsam. Es gibt etwas in mir, das sich dem süßen Phänomen des Seelenbundes widersetzt. Einige Menschen haben mich gesucht, nichts aber hat sie mir nahe gebracht, welche Anstrengungen ich in dieser Richtung auch machte. Vielen Männern gegenüber hab' ich das, was die Welt Ueberlegenheit nennt, zum Schweigen gebracht. Ich ging in ihrem Schritte, machte ihre Ideen zu meinen eigenen, ich lachte ihr Lachen, entschuldigte ihre Charakterfehler; hätt' ich Ruhm erlangt, so würde ich ihn ihnen für ein bißchen Zuneigung verkauft haben. Diese Männer haben mich ohne Bedauern verlassen. Alles in Paris ist Fallstrick und Schmerz für Seelen, die dort wahre Gefühle suchen wollen. Wo in der Welt ich meine Füße hinsetzte, brannte der Boden um mich her. Für die einen war meine Nachgiebigkeit Schwäche; wenn ich ihnen die Fäuste des Mannes zeigte, der die Kraft fühlte, eines Tages die Macht auszuüben, war ich bösartig... Für die anderen war jenes köstliche Lachen, das mit zwanzig Jahren aufhört, und dem uns zu überlassen wir uns später fast schämen, ein Grund zum Spott, ich belustigte sie. In unseren Tagen langweilt sich die Welt und verlangt nichtsdestoweniger Ernst in den leichtfertigsten Gesprächen. Eine schreckliche Zeit, wo man sich vor einem höflichen, mittelmäßigen Menschen beugt, der so kalt ist, daß man ihn haßt, dem man aber gehorcht! Später hab' ich die Gründe für solche scheinbaren Inkonsequenzen entdeckt. Die Mittelmäßigkeit, mein Herr, genügt in allen Lebensstunden, sie ist das tägliche Gewand der Gesellschaft; alles, was von dem milden, von mittelmäßigen Leuten geworfenen Schatten abweicht, ist etwas zu Auffallendes. Genie und Originalität sind Kleinodien, die man verwahrt und sorgsam hütet, um sich mit ihnen an gewissen Tagen zu schmücken. Kurz, ich war inmitten von Paris Einsiedler und konnte nichts finden in der Welt, die mir nichts zurückgab, wenn ich ihr alles überlieferte. Und während ich nicht genug von meinem Kinde hatte, um meinem Herzen genugzutun, weil ich Mann war, begegnete ich eines Tages, als ich mein Leben erkalten fühlte, als ich mich unter der Last meiner heimlichen Nöte krümmte, der Frau, die mich die Liebe in ihrer ganzen Gewalt, die Ehrfurcht vor einer eingestandenen Liebe, die Liebe mit ihren reichen Glückshoffnungen, kurz die Liebe sollte kennenlernen lassen! ... Ich hatte meine Verbindung mit dem greisen Freunde meines Vaters, der sich meiner Angelegenheiten einst sorgend annahm, erneuert: bei ihm sah ich die junge Person, für die ich eine Liebe fühlte, welche so lange wie mein Leben währen sollte. Je älter der Mensch wird, mein Herr, desto mehr erkennt er den starken Einfluß der Gedanken auf die Ereignisse. Sehr achtenswerte Vorurteile, die von edlen, religiösen Ideen erzeugt worden waren, wurden meines Unglücks
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