Club Dead
Kapitel 1
Bill hockte über den Computer gebeugt, als ich die Tür zu seinem Haus aufschloß und eintrat. Leider war mir dieser Anblick in den letzten Monaten nur allzu vertraut geworden. Anfangs hatte sich mein Liebster noch von der Arbeit losgerissen, sobald ich nach Hause kam, doch seit ein paar Wochen jedoch konnte davon keine Rede mehr sein. Anscheinend übte die Tastatur seines Rechners auf ihn eine weit stärkere Anziehungskraft aus als ich.
„Hallo Schatz", sagte mein Vampir geistesabwesend, den Blick unverwandt auf den Schirm gerichtet. Auf dem Schreibtisch neben der Tastatur thronte eine leere Flasche TrueBlood O. Das Essen hatte er also wenigstens nicht vergessen.
Bill ist kein Typ für Jeans und T-Shirts. An diesem Abend trug er eine Khakihose und dazu ein Karohemd in gedämpften Grün- und Blautönen. Seine Haut schimmerte, sein dichtes schwarzes Haar roch nach Kräuteressenzen. Bei seinem Anblick wäre jede Frau von einem heftigen Hormonschub heimgesucht worden! Ich küßte seinen Nacken - er reagierte nicht. Ich leckte zart sein Ohr - wieder nichts.
Ich hatte gerade eine Sechsstundenschicht im Merlottes hinter mir. Sechs Stunden kellnern, immer auf den Beinen, und jedesmal, wenn ein Gast zu wenig Trinkgeld hinterlassen oder irgendein Idiot versucht hatte, mir den Po zu tätscheln, hatte ich mir gesagt, daß ich ja bald bei meinem Liebsten sein würde, um unglaublichen Sex genießen und mich in seiner Aufmerksamkeit sonnen zu können.
So wie es aussah, hatte ich da vollkommen falsche Vorstellungen gehegt.
Ganz langsam und ganz gleichmäßig holte ich tief Luft, in den Anblick von Bills Rücken vertieft. Was für ein wundervoller Rücken mit solch breiten Schultern - wie fest ich damit gerechnet hatte, diesen Rücken bald unbekleidet vor mir zu sehen, meine Fingernägel in Ekstase darin vergraben zu können. Immer noch langsam und gleichmäßig atmete ich wieder aus.
„Bin gleich soweit!" verkündete Bill, ohne sich umzudrehen. Auf dem Bildschirm war das Konterfei eines distinguierten älteren Herrn mit silbergrauen Schläfen und tief gebräunter Haut zu sehen. Er wirkte auf diese gewisse Anthony-Quinn-Art sexy. Gleichzeitig sah er aus, als verfüge er über nicht unerhebliche Macht. Unter dem Bild stand außer dem Namen des Herrn noch etwas Text. „1756 in Sizilien geboren", las ich. Gerade wollte ich den Mund öffnen, um meinem Erstaunen darüber Ausdruck zu verleihen, daß Vampire entgegen der landläufigen Meinung ja durchaus auf Fotografien sichtbar seien, da wandte Bill sich zu mir um und bemerkte, daß ich ihm über die Schulter geschaut hatte.
Woraufhin er auf eine Taste drückte und der Bildschirm mit einem Mal leer war.
Sprachlos starrte ich meinen Freund an. Ich mochte nicht recht glauben, was er da eben getan hatte.
„Sookie!" sagte Bill, bevor er sich an einem Lächeln versuchte. Seine Fangzähne waren kaum zu sehen; er war also ganz und gar nicht in der Stimmung, in der ich ihn anzutreffen gehofft hatte. Fleischeslust überwältigte Bill bei meinem Anblick jedenfalls nicht. Wie bei allen anderen Vampiren sind bei Bill die Fangzähne nur voll ausgefahren, wenn irgendeine Lust ihn umtreibt: die Lust auf Sex oder die Lust, sich zu nähren und zu morden. Manchmal sind diese Begierden bei Vampiren sehr eng miteinander verwoben; dann erwischt es den einen oder anderen Fangbanger, und der ist dann tot. Wenn Sie mich fragen, so ist es genau dieser Kitzel, diese immerwährende leise Bedrohung, die Fangbanger mehr als alles andere anzieht. Auch wenn mir in der Vergangenheit schon mehrmals der Vorwurf gemacht wurde, selbst eine dieser jämmerlichen Gestalten zu sein, die sich in der Nähe von Vampiren herumtreiben, weil sie hoffen, irgendwann werde ihnen einmal einer Beachtung schenken: Ich persönlich war (jedenfalls wenn es nach mir ging) mit einem einzigen Vampir liiert, und zwar mit dem, der da vor mir saß. Mit dem, der Geheimnisse vor mir hatte. Der so überhaupt nicht froh war, mich zu sehen.
„Bill", erwiderte ich kühl. Irgend etwas war los hier - aber Bills Libido war es nun wirklich nicht. (Das Wort Libido hatte gerade an diesem Tag auf meinem Abreißkalender gestanden, mit dessen Hilfe man jeden Tag ein neues Wort lernen kann.)
„Das da eben hast du nicht gesehen", fuhr mein Liebster fort, die dunklen Augen ohne auch nur ein einziges Mal mit der Wimper zu zucken ruhig und unverwandt auf mein Gesicht gerichtet.
„Wenn du meinst", erwiderte ich vielleicht
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