Der Landarzt (German Edition)
aufgestellt, und die geringsten Gegenstände immer gleichmäßig sauber. Nichtsdestoweniger zog diese Lebensweise sehr an. Nachdem ich den anfänglichen Widerwillen eines an die Freuden der Abwechslung, des Luxus und der Beweglichkeit von Paris gewöhnten Mannes besiegt hatte, erkannte ich die Vorzüge einer solchen Existenz an: sie entwickelt die Gedanken in ihrer ganzen Ausdehnung und ruft unwillkürliche Betrachtungen hervor: das Herz herrscht dort, nichts lenkt es ab und schließlich sieht es dort irgend etwas, das ebenso unendlich ist wie das Meer. Wie in den Klöstern, wo man unaufhörlich die nämlichen Dinge wiedersieht, löst sich dort der Gedanke notwendigerweise von den Dingen und versetzt sich ohne Ablenkung in die Unendlichkeit der Gefühle. Für einen Mann, der so aufrichtig verliebt war wie ich, erzeugten das Schweigen, die Lebenseinfachheit und die fast klösterliche Wiederholung der nämlichen, in den nämlichen Stunden sich vollziehenden Geschehnisse noch größere Liebeskraft. Dank dieser tiefen Ruhe gewannen die geringsten Bewegungen, ein Wort und eine Bewegung ein wunderbares Interesse. Da sie aus dem Ausdruck der Gefühle alles Gewaltsame fernhalten, zeigen ein Lächeln und ein Blick den Herzen, die sich verstehen, unerschöpfliche Bilder in der Ausmalung ihrer Wonnen und ihrer Betrübnisse. Darum begriff ich damals, daß die Sprache mit dem Prunk ihrer Phrasen nicht so mannigfaltig und beredt sein kann wie der Austausch von Blicken und die Harmonie des Lächelns. Wie viele Male habe ich mich nicht bemüht, meine Seele in meine Augen oder auf meine Lippen zu legen, wenn ich mich zu schweigen und zugleich die Glut meiner Liebe einem jungen Mädchen zu sagen genötigt sah, das in meiner Nähe beständig ruhig blieb, und dem das Geheimnis meiner Anwesenheit in der Wohnung noch nicht enthüllt worden war; denn ihre Eltern wollten ihr in ihrer wichtigsten Lebensangelegenheit freien Entscheid lassen. Stillt aber, wenn man wahre Leidenschaft empfindet, des geliebten Wesens Gegenwart nicht unsere heftigsten Sehnsuchtsgefühle? Ist es nicht das Glück des Christen vor Gott, wenn wir bei ihr weilen dürfen? Heißt sehen nicht anbeten? Wenn es mehr als für jeden anderen für mich eine Marter war, nicht das Recht zu haben, der Begeisterung meines Herzens Ausdruck zu verleihen, wenn ich gezwungen war, darin jene heißen Worte zu begraben, die noch glühendere innere Erregungen vortäuschen, indem sie sie aussprechen, ließ dieser Zwang, indem er meine Leidenschaft gefangenhielt, sie nichtsdestoweniger um so lebhafter bei kleinen Anlässen hervorbrechen, und die geringsten Zufälle erlangten dann einen übermäßigen Wert. Sie stundenlang bewundern, eine Antwort erwarten und die Modulationen ihrer Stimme lange auskosten, um ihre geheimsten Gedanken darin zu suchen, das Zittern ihrer Finger belauern, wenn ich ihr irgendeinen Gegenstand reichte, den sie gesucht hatte, Vorwände ersinnen, um ihr Gewand oder ihre Haare zu streifen, um ihre Hand zu ergreifen, um sie mehr reden zu lassen, als sie wollte: all diese Nichtigkeiten waren große Ereignisse. Während solcher Ekstasen gaben die Augen, die Gebärde, die Stimme der Seele unbekannte Liebesbeweise. Das war meine Sprache, die einzige, die mir des jungen Mädchens kühl jungfräuliche Zurückhaltung erlaubte; denn ihre Art und Weise änderte sich nicht, sie benahm sich mir gegenüber immer, wie eine Schwester sich gegen ihren Bruder benimmt. Lediglich wurde in dem Maße, wie sich meine Leidenschaft steigerte, der Kontrast zwischen meinen Worten und den ihren, zwischen meinen Blicken und den ihren auffälliger, und schließlich erriet ich, daß jenes ängstliche Schweigen das einzige Mittel war, welches dem jungen Mädchen dazu dienen konnte, seine Gefühle auszudrücken. Weilte sie nicht stets im Salon, wenn ich dorthin kam? Blieb sie nicht während meines erwarteten und vielleicht vorhergeahnten Besuches dort? Verriet solch schweigende Treue nicht das Geheimnis ihrer unschuldigen Seele? Lauschte sie endlich nicht meinen Worten mit einem Vergnügen, das sie nicht zu verbergen wußte? Die Naivität unseres Benehmens und die Melancholie unserer Liebe machten die Eltern zweifelsohne schließlich ungeduldig, die mich, als sie mich fast ebenso schüchtern wie ihre Tochter sahen, günstig beurteilten und für einen ihrer Schätzung würdigen Mann hielten. Vater und Mutter vertrauten sich meinem alten Freunde an und sagten ihm die schmeichelhaftesten Dinge über
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