Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home
Ehe mitgebracht, die Jungs sind unsere Söhne – Jeffrey und Winston. Jetzt sind sie zwölf und neun Jahre alt.« Ungeduldig kam er zur Sache. »Warum wolltest du mich sehen?«
»Nun ja – ich habe dich gesucht und ich hatte keine Ahnung, dass du in New York lebst.« All die Jahre hatte er in ihrer Nähe verbracht, mit seiner Familie. Ohne sie. Ohne irgendeine Erklärung. Eine schmerzliche Erkenntnis ...
»Barbara fühlte sich nicht wohl in Boston«, erwiderte er.
Nach Gabriellas Ansicht war das keine ausreichende Begründung. »Wenn du wusstest, wo ich war – warum hast du mich nicht im Kloster besucht?« Als sie diese Frage stellte, nahm sein Gesicht einen Ausdruck an, den sie in lebhafter Erinnerung behalten hatte – Hilflosigkeit, das stumme Eingeständnis, er fühle sich einer Situation nicht gewachsen. Mit solchen Augen hatte er sie von der Tür her beobachtet, wenn sie verprügelt worden war.
»Was hätten wir damit gewonnen?«, entgegnete er bedrückt. »Unser Familienleben war nicht besonders glücklich. Das weißt du doch. Deshalb dachte ich, wir sollten die Vergangenheit begraben und vergessen.« Wie konnte er seine Tochter vergessen? »Deine Mutter war sehr krank.« Mit seinen nächsten Worten schockierte er sie zutiefst. »Ich glaubte, eines Tages würde sie dich töten«, würgte er mühsam hervor.
Ehe sie sich's versah, sprach sie die Frage aus, die ihr seit so vielen Jahren auf der Seele brannte. »Warum hast du sie nie zurückgehalten?« Atemlos wartete sie auf die Antwort. Es war so wichtig für sie.
»Wie konnte ich?« Gewalt, Drohungen, eine Trennung, die Scheidung, die Polizei – genug Möglichkeiten ... »Was sollte ich tun? Wenn ich sie kritisierte, misshandelte sie dich noch grausamer. Schließlich sah ich keinen anderen Ausweg, als zu verschwinden und woanders ein neues Leben zu beginnen.«
Und ich?,
wollte sie schreien.
Wie sah mein neues Leben aus?
»Ich dachte, bei den Nonnen wärst du gut aufgehoben. Und sie hätte mir ohnehin nicht erlaubt, dich in meine Obhut zu nehmen.«
»Hast du sie danach gefragt?« Nun wollte sie alles wissen. Diese Antworten waren der Schlüssel zu ihrer Zukunft.
»Nein. Damit wäre Barbara nicht einverstanden gewesen. Du hast zu einem anderen Leben gehört. Nicht zu unserem.« Und dann holte er zum letzten vernichtenden Schlag aus. »Auch jetzt gehörst du nicht zu uns. Seit vielen Jahren gehen wir getrennte Wege. Es ist zu spät, um noch einmal von vorn zu beginnen. Wenn Barbara wüsste, dass wir uns hier treffen, wäre sie außer sich vor Zorn. Sie würde glauben, es wäre ein Verrat an unseren gemeinsamen Kindern.«
Entsetzt starrte sie ihn an. Sie hatte ihm nie etwas bedeutet. Ohne mit der Wimper zu zucken, war er fortgegangen und hatte sie ihrem Schicksal überlassen. »Und ihre Töchter? Haben sie nicht bei dir gelebt?«
»Doch, natürlich. Das war was anderes.«
»Inwiefern?«
»Nun, es sind Barbaras Kinder. Du warst nur eine böse Erinnerung für mich – der Rest eines Albtraums, dem ich entrinnen wollte. Ich konnte dich nicht in meine neue Ehe mitbringen. Und jetzt geht's auch nicht. Seit Jahren leben wir getrennt, Gabriella. Wir gehören nicht mehr zueinander.«
Er hatte zwei Söhne und zwei Stieftöchter und eine Ehefrau! Sie dagegen hatte niemanden. »Wie kannst du so reden?« Mühsam unterdrückte sie ihre Tränen.
»Weil es wahr ist. Hör auf mich und zieh einen Schlussstrich – mir und dir selber zuliebe. Wann immer du mich siehst, würdest du an die Qualen denken, die deine Mutter und ich dir bereitet haben, an mein Versagen, meine Unfähigkeit, dir zu helfen. Und mit der Zeit würdest du mich hassen.«
Sie hasste ihn schon jetzt. Dieses Wiedersehen hatte sie sich ganz anders vorgestellt. Er war genauso hilflos wie eh und je und brachte einfach nicht den Mut auf, ihr Vater zu sein. »In all den Jahren hast du dich kein einziges Mal bei mir gemeldet. Wie konntest du nur ...« Nun kämpfte sie nicht mehr gegen ihre Tränen an. Was er von ihr hielt, interessierte sie nicht. Er war gleichgültig und grausam, und er hatte sie bitter enttäuscht. Schwach und feige und charakterlos hatte er sich von ihrer Mutter beherrschen lassen. Und heute wurde er von einer Frau namens Barbara herumkommandiert.
»Was soll ich dir sonst noch sagen, Gabriella?«, seufzte er. Offenbar versuchte er, sie loszuwerden, so schnell wie möglich. »Ich wollte dich nicht wiedersehen.« So einfach war das. In seinem Herzen verwahrte er nichts, was er ihr
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