Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home
Hände. Offensichtlich war sie immer noch wütend.
»Wenn ich sie nicht erziehe, wird sie eines Tages auf die schiefe Bahn geraten. Kinder müssen Disziplin üben.«
Seine Eltern waren ihm stets sehr liebevoll begegnet, und Eloises Verhalten erschreckte ihn. Natürlich wusste er, wie heftig die Mutterschaft an ihren Nerven zerrte. Seit der Niederkunft war sie wie verwandelt. Auch über ihn schien sie sich ständig zu ärgern. Seine Hoffnung auf eine große, glückliche Familie hatte er längst begraben. »Was sie verbrochen hat, weiß ich nicht«, erwiderte er sanft. »Aber so schlimm kann es nicht gewesen sein.«
»O doch!«, entgegnete Eloise in scharfem Ton. »Sie hat einen Teller zerbrochen, mit voller Absicht. So etwas dulde ich nicht.«
»Sicher war es ein Versehen«, versuchte er sie zu beruhigen, erreichte aber das Gegenteil. Wann immer er das Kind verteidigte, schürte er nur noch den Zorn seiner Frau.
Zwischen zusammengebissenen Zähnen stieß sie hervor: »Für Gabriellas Erziehung bin ich verantwortlich. Ich schreibe dir ja auch nicht vor, wie du dein Büro leiten sollst.« Ohne ein weiteres Wort verließ sie das Zimmer.
Sechs Monate später war es Eloises »Ganztagsjob«, ihrer Tochter »Disziplin« beizubringen. Jeden Tag stellte Gabriella irgendetwas an, das eine Ohrfeige oder Prügel rechtfertigte. Sie lief aus dem Garten ins Haus, die Beine voller Grasflecken, spielte mit der Katze des Nachbarn, die ihr den Arm zerkratzte, oder sie zerriss ihr Kleid. Als sie kurz vor ihrem vierten Geburtstag auf der Straße hinfiel, ihre Knie aufschürfte und ihre Socken mit Blut beschmutzte, verdiente sie eine besonders strenge Strafe. Tatenlos sah John das alles mit an, in der Überzeugung, er könnte Eloise nicht Einhalt gebieten. Wenn er das Kind tröstete, schien er die Situation noch zu verschlechtern. Es war viel einfacher, Eloises Erklärungen, warum sie Gabriella züchtigte, zu akzeptieren. Und so schwieg er und versuchte sich nicht vorzustellen, was mit seiner Tochter geschah. Vielleicht hatte Eloise sogar Recht, wenn sie betonte, ein Kind müsse Disziplin wahren.
Nachdem seine Eltern bei einem Autounfall gestorben waren, gab es niemanden, an den er sich wenden konnte, keinen einzigen Menschen, den er in das Problem einzuweihen wagte.
Gabriella benahm sich mustergültig, sagte kaum ein Wort und räumte Tag für Tag gewissenhaft den Tisch ab. In ihrem Zimmer legte sie ihre Kleider ordentlich zusammen. Sie tat alles, was man ihr auftrug. Niemals widersprach sie ihrer Mutter. Wenn sie mit ihren Eltern am Esstisch saß, schwieg sie. Unglücklicherweise hielt ihr Vater das für gute Manieren, was doch allein durch reinen Psychoterror bewirkt wurde.
Nach Eloises Meinung hatte das Kind noch sehr viel zu lernen. Täglich stellte es irgendetwas an und musste bestraft werden. Mit der Zeit schlug die Mutter immer schmerzhafter zu, und die Züchtigungen dauerten immer länger. Alle Körperteile wurden misshandelt. Manchmal fürchtete John, Eloise könnte Gabriella ernsthaft verletzen. Aber er sprach nicht darüber und redete sich ein, es sei völlig richtig, wie Eloise das Kind erzog. Geflissentlich übersah er die Schürfwunden und blauen Flecken. Eloise behauptete, Gabriella würde dauernd hinfallen und sei so ungeschickt, dass sie weder Rad fahren noch Rollschuh laufen könnte. Darauf müsse sie zu ihrem eigenen Wohl verzichten, denn die Verletzungen würden ja beweisen, wie tollpatschig sie sei.
Um ihren sechsten Geburtstag herum waren die Prügelstrafen zur Gewohnheit geworden. John ignorierte die Schläge, das Kind rechnete damit, und Eloise genoss ihre Grausamkeit. Hätte ihr das irgendjemand vorgeworfen, wäre sie wütend geworden. Sie denke nur an das Wohl ihrer Tochter, würde sie behaupten, und die regelmäßige Züchtigung sei »absolut nötig«. Man dürfe ein Kind nicht verwöhnen. Und Gabriella wusste, wie schlimm sie war. Sonst würde die Mutter sie nicht schlagen – und der Vater würde sie daran hindern. Wäre sie ein braves Mädchen, würden die Eltern sie lieben. Doch sie hatte erkannt, wie schrecklich sie sich benahm. Das bläute Mommy ihr immer wieder ein.
Während sie an jenem Sommernachmittag am Arm gepackt und über den Boden geschleift, ein letztes Mal geschlagen und in ihr Zimmer geschickt wurde, entdeckte sie den Vater, der am anderen Ende des Flurs stand und zuschaute. Also hatte er die Prügelstrafe beobachtet und wie üblich nichts unternommen. Schweigend, die Augen voller
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