Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der langsame Tanz

Der langsame Tanz

Titel: Der langsame Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
Vom Netzwerk:
Wieso nicht gleich eine andere Stadt ? Was soll er in Rom ? Er kann überall hingehen, sogar nach Hamburg zurück.
    Aber was soll er dort ? Was soll er irgendwo ?
     
    *
     
    »Wer soll das sein, der Künstler ?« fragt Rudi nach einigen Tagen, in denen Martin, um dieses Leiden nicht dauernd mitansehen zu müssen, die meiste Zeit in der Stadt verbrachte.
    »Sharons Bruder.«
    »Ach der, den hab ich schon mal gesehen. Schick ihn in den Laden, ich will sehen, ob man ihm trauen kann.«
    »Wieso trauen ? Was gibt’s denn da zu trauen ?«
    »Na, was denkst denn du ? Wenn der nachher mit dem erfolgreichen Namen weitermachen will ? Dann haben wir einen leibhaftigen Arne Boro am Hals, der uns womöglich erpreßt oder irgendwas in der Art.«
    »Der ist ein ganz kleines Würstchen. Keine Gefahr.
    Sag ihm, was er tun soll, und gib ihm Hunderttausend, dann tut er brav, was ihm aufgetragen wird.«
    »Hast du eine Ahnung von der Gefährlichkeit kleiner Würstchen ?«
    »Was denn für eine Gefährlichkeit«, sagt Martin ärgerlich, »von was für Gefahren hast du’s eigentlich ?«
    »Ich weiß auch nicht«, lenkt Rudi ein, und seine Stimme klingt zerknirscht, als wolle er sich für eine Mißetat entschuldigen, »ich finde die ganze Sache wohl einfach link.«
    »Link ? Was ist das denn für ein Ausdruck ? Den hab ich schon seit acht oder zehn Jahren nicht mehr gehört.«
    »Kann stimmen.« Rudi grinst. »So lang etwa bin ich aus Deutschland weg.«
    »Hast du nie Heimweh ?«
    »Nein.«
    »Ich auch nicht.« Martin hört seine eigene Stimme wie die eines Synchronsprechers, den man gleich ermahnen wird, das könne er noch besser.
    »Also, schick mir den Mann«, sagt Rudi, und zum ersten Mal seit Tagen ist die Stimmung zwischen ihnen wie früher, als sie noch staunen konnten, was sich alles mit einem bißchen Geld und Kenntnissen bewegen läßt.

19.
     
    Fast das ganze Innere des Häuschens war ein einziger Raum, der, zum Atelier mit Bett und Küchenzeile ausgebaut, durch vier Türen zum Garten und zwei verglaste Mansarden von Tageslicht überflutet wurde.
    Das Dachgebälk lag frei, und der Boden war mit hell-roten Dielen bedeckt, die zwar schon bessere Tage gesehen hatten, sich aber in eindrucksvoller Länge, ohne Schnitt, durch den ganzen Raum zogen. An einer der Schmalseiten verbarg ein riesiger Spiegel die Wand. Die Haltestange, die einmal davor gewesen sein mußte, war abgenommen worden. Man sah im Boden noch die Spuren der Verankerung. »Mensch, das wär ein Atelier für dich«, sagte Martin begeistert und sah sich um.
    »Nur zu still ist es außenrum«, sagte Anne. »Als Liebesnest geht’s auch.«
    Martin sah sie fragend an. Er hoffte, sie würde nicht von irgendeiner Erinnerung anfangen, hoffte, sie hätte nicht hier in diesem Raum etwas erlebt, das ihm den Aufenthalt vergiften würde, aber sie lächelte ihn an und wiederholte »Liebesnest.«
    Ihm schlug das Herz auf einmal so hoch, daß er glaubte, es müsse ihm die Schlüsselbeine brechen. Er wandte sich ab, um seine Freude nicht zu zeigen, ging nach draußen und holte das Gepäck.
     
    *
     
    Sie fuhren zum Einkaufen in die nahe Stadt und kochten dann gemeinsam. Anne plapperte wie ein idyllischer Bach, aber vor lauter Phantasien drang fast nichts von dem, was sie erzählte, bis zu Martins Bewußtsein vor. Sie beschrieb ihm wohl einige Anblicke in Rom, die neuen Farben der Sixtina, das gelackte Dunkel in einem Bild von Caravaggio, an dem sie kein gutes Haar ließ ; hätte es Kaufhäuser im Barock gegegeben, dann hätte er wohl für die gemalt, sagte sie, und Eifer ließ ihre Stimme für einen Moment blank und grell klingen, aber für Martin war alles, was sie erzählte, nur Nebenmotiv, denn die Leitmelodie spielte in seinem Kopf und hatte nur eine Zeile Text : »Liebesnest.«
     
    *
     
    Es war kühl. Draußen zog Nebel auf und dämpfte zuerst den Glanz der virtuosen Amselmelodien, dann die Farben der Dämmerung, und irgendwann stand Martin auf, um Feuer im Kamin zu machen. Es gelang ihm auf Anhieb. Dafür, daß seine Pfadfindervergangenheit schon ein Vierteljahrhundert zurücklag und er seither nur mit Zentralheizung gelebt hatte, wußte er noch erstaunlich gut, wie man ein Feuer baut. Es knisterte und schmatzte in dem eleganten schwarzen Schwedenofen, und eine trockene Wärme erfüllte den Raum.
    Mittlerweile war es dunkel, nur mehr das Licht zweier Kerzen und der rote Schimmer des Feuers erhellten mit spärlicher Milde die Szene. Sie saßen vor ihren leeren Tellern und

Weitere Kostenlose Bücher