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Der langsame Tanz

Der langsame Tanz

Titel: Der langsame Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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träumten in das samtige Dunkel des Rotweins hinein, als sammle sich in den Gläsern alle Hoffnung, Erinnerung und Lust.
     
    *
     
    »Komm«, sagte sie irgendwann, viel später, als längst schon der Tisch abgeräumt, das Geschirr gespült und der zimmerlange Vorhang zugezogen war, und nahm ihn an der Hand.
    Sie ging zum Bett, begann es zu ziehen, durch den Raum und vor den Spiegel. »Ich muß uns sehen«, sagte sie.
    Er half ihr.
    Sie holte zwei weitere Kerzen, stellte sie auf den Boden, setzte sich aufs Bett, sah in den Spiegel, stand wieder auf, um den Standort der Beleuchtung zu verändern, bis das Bühnenbild für ihre Inszenierung stimmte, dann zog sie sich aus und sah sich dabei unverwandt zu.

47.
     
    Es ist Herbst geworden. Die Stadt gehört wieder ihren Bewohnern. Und Martin wird einer von ihnen werden. Mit Franca Brauckners Hilfe hat er eine Wohnung gefunden, zwei Zimmer im obersten Stockwerk, nur eine Straße vom Campo Marzio entfernt. Er hat einen Computer gekauft und versucht, mit seinem »Tagebuch eines Toten« zu beginnen. Aber immer, wenn er eine Zeile getippt hat, gefällt sie ihm nicht, und er wechselt zum Ordner mit den Spielen und vertrödelt Stunden mit Mühle, Dame oder Mah -Jongg. Es ist egal. Er lebt.
    Erstaunlich, wie die Tage verschwinden, wenn man nichts tut außer Spazierengehen, Essen, Trinken, Schlafen, Lesen ; sie vergehen schneller als jeder mit Arbeit ausgefüllte Tag. Martin wird manchmal an alte Schwarz-weißfilme erinnert, in denen man das Fortschreiten der Zeit durch eins nach dem anderen vom Block flatternde Kalenderblätter symbolisiert. So mild, verträumt und verwischt wehen ihm die Tage nun zu Boden, während sein Geld sich noch immer vermehrt.
    Rudi hat die Uhren sehr gut losgeschlagen, die letzten großen Bilder verkauft und legt sich jetzt ins Zeug, um aus der Ausstellung ein Ereignis zu machen. Er läßt die Drähte glühen und weckt jeden eingeschlafenen Kontakt, klaubt jedes lose Ende jeden Fadens wieder auf, um nur ja niemanden, dem er multiplikatorische Wirkung zutraut, zu vergessen. Er hat die Galerie einschließlich des Schaufensters mit grauem Samt ausgeschlagen, vom Boden bis zur Decke ist der Raum in ein einziges warmes Grau getaucht, er hat neue Halogenstrahler installiert, die ein klares, abgegrenztes Licht auf jedes einzelne Bild werfen sollen, die Aquarelle stehen noch am Boden, ohne Glas, in schmalen weißen Leisten gerahmt, und der Anblick des Ganzen ist schon jetzt der einer hochästhetischen Installation. Auf den Einladungskarten steht »Erotika« und der Hinweis, man möge bitte keine Minderjährigen mitbringen, und Rudi hat ausschließlich persönlich eingeladen, kein Plakat gedruckt und keinen Journalisten informiert.
    Noch hängt kein einziges Bild, aber Rudi sitzt fast jeden Tag stundenlang mit Roy zusammen, dem falschen »Arne Boro«, den er gründlich und geduldig instruiert.
    Das Modell sei sein verstorbener Zwillingsbruder, soll er sagen, ein in Australien legendärer Pornostar, mit dem er einen Sommer lang gearbeitet habe, um diesen Zyklus zu schaffen. Der Bruder habe sich umgebracht, und nur deshalb habe Roy sich entschlossen, diese Aquarelle auszustellen. Als einen Nachruf auf den toten Bruder, eine Art, dessen Asche auszustreuen.
    Bis jetzt hat Roy kein Bild zu Gesicht bekommen, das reiche noch bei der Vernissage, findet Rudi. »Ich will nicht, daß der kneift«, sagt er eines Abends in einer Osteria beim Campo dei Fiori, »was weiß ich, was in seinem Kopf vorgeht, wenn er dreißig Erektionen sieht.«
    »Der weiß doch, was auf den Bildern ist«, sagt Martin.
    »Schon. Aber wissen ist nicht sehen.«
    »Bei ihm bestimmt nicht.«
    Rudi ist seltsamen Stimmungsschwankungen aus-geliefert. Mal beflügelt von der Aussicht auf die exquisite Ausstellung und mal deprimiert vor lauter Schuld-gefühlen. Und manchmal ist er auch verträumt und transparent, und Martin sieht ihm wieder seine Sehnsucht an.
    »Ich steig dann aus«, sagt Rudi nach einem dieser versonnenen Intermezzi. »Die Ausstellung mach ich noch, dann will ich die Frau nicht mehr hintergehen.«
    »Frag sie doch mal, ob sie nicht als Arne weitermachen will. Immerhin hat sie Erfolg. Den könntest du ausbauen.«
    »Vielleicht«, sagt Rudi schon wieder abwesend, »aber vielleicht bleib ich auch gar nicht in Rom.«
    »Vielleicht kommt sie her ?« sagt Martin in seinen Teller und quittiert Rudis erstaunten Blick mit einem kleinen Lächeln.
    »Siehst du mir das an ?«
    Martin

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