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Der langsame Tanz

Der langsame Tanz

Titel: Der langsame Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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es. Ich hab nur das Gefühl, daß wir hier was verschleudern, was man nicht verschleudern darf.«
    »Ich darf«, sagt Martin und hört selber, wie trotzig und kindisch das klingt. Rudi sieht ihn lange und forschend an.
    »Vielleicht«, sagt er. Und nach einiger Zeit, in der sie beide schweigen : »Aber vielleicht auch nicht.«
     
    *
     
    »Okay«, sagt Martin dann jedoch zwei Tage später, als Rudi schon halb aus der Tür ist. »Wir stellen sie aus.
    Ich hab sogar schon eine Idee, wer Arne Boro sein könnte.«
    »Willst du einen Schauspieler engagieren ?« »So ähnlich«, sagt Martin, »einen Künstler. Das heißt, einen Typen, der sich dafür hält. Er sieht gut aus, er ist eitel, die Schwulen werden ihn mögen.«
    »Gut«, sagt Rudi und geht.

18.
     
    »Wovon träumen wir eigentlich ?« fragte Martin, als links und rechts die Alleebäume vorbeiglitten und ein hysterischer Herbstwind letzte Blätter über die Ebene jagte. Anne fuhr konzentriert und souverän, und seit Lüchow machte sie dabei sogar ein entspanntes Gesicht.
    Daß sie Auto fahren konnte, überraschte ihn. Als er sich ans Steuer setzen wollte, hatte sie gesagt : »Laß mich doch fahren«, und er hatte ihr den Schlüssel gereicht.
    Ihr Ziel lag in der ehemaligen DDR, in der Nähe von Osterburg. Es gehörte ihrem Professor. Ein Landhaus.
    Sie kannte den Weg.
    »Wovon ich träume ?«
    »Nein, wir. Wir beide. Haben wir irgendein Ziel ?
    Irgendwas, das wir erreichen wollen ?«
    »Also, ich möchte«, sie unterbrach sich, als überlege sie, ob sie wirklich aussprechen sollte, was ihr auf der Zunge lag, »eigentlich möchte ich so weiterarbeiten.
    Dich studieren in jeder Bewegung und jeder Haltung, bis ich dich auswendig kann.«
    Martin schwieg. Wäre das nicht aufs Malen bezogen, dann klänge es wie eine poetische Liebeserklärung.
    Und es war nur mit Mühe als gemeinsames Ziel zu interpretieren. Er kam darin nur als Lieferant von An-blicken vor.
    »Und du ?«
    »Nichts weiter. Ist schon recht so.« Wozu sollte er ihr erklären, was er gemeint hatte ? Es war doch sinnlos.
    Besser, er fand sich damit ab, als die Atmosphäre durch unerfüllte Wünsche zu vergiften. Sie fragte nicht weiter, machte nur ein Gesicht, als sage sie sich : Das hab ich mir doch gedacht.
    Nach einigen Kilometern nahm sie das Thema wieder auf : »An welchem Ort wärst du am liebsten ?«
    »Hier«, sagte er, »mit dir ?«
    »Wieso klingt das wie eine Frage ?«
    »Das weiß ich nicht.« Sie hatten die Elbe überquert und durchfuhren jetzt ein Dorf namens Ritzleben.
    »Ich wär am liebsten in Rom. Auf dem Forum Romanum, um genau zu sein. Und um ganz genau zu sein, in dieser Speicherruine, kennst du Rom ?«
    »Nein.«
    »Es ist die schönste Stadt.«
    »Wieso genau in dieser Speicherruine ?«
    »Weil ich dort ein unglaubliches Erlebnis hatte.«
    »Eine Erscheinung ?«
    »Könnte man so sagen. Eine erotische Erscheinung.
    Oder vielleicht besser, Offenbarung.«
    Das wollte Martin nicht genauer wissen, also sah er auf seiner Seite aus dem Wagenfenster und schwieg. Irgendwann bogen sie ein vor ein kleines heruntergekommenes Anwesen, das in einem verwilderten Park stand und vor vielen Jahren ein Herrenhaus mit Wirtschaftsgebäuden gewesen sein mußte. Anne fuhr vor eines der kleinen Häuser am Rande und parkte den Wagen. »Wir sind da«, sagte sie, »das war früher mal eine Ballettschule.«

46.
     
    Die Stimmung im Viale Vignola bleibt düster und verhalten. Martin weiß den Grund. Seit Rudi aus Hamburg zurück ist, quälen ihn Gewissensbisse, weil er Anne um den ihr zustehenden Ruhm betrügt, aber mehr noch bewegt ihn die Sehnsucht nach ihr. Man sieht ihm die Verliebtheit an. Diese verlorene Beschwingtheit im Gang, diese überraschte Unsicherheit bei den alltäglichsten Verrichtungen und dieser leere, verwaschene Blick des Erinnernden, der ihm jeden Moment den Kontakt zur Wirklichkeit entziehen kann, sprechen eine noch deutlichere Sprache, als es sein entrücktes Schweigen alleine schon vermag.
    Bisher war zwischen ihnen dieses gelassene Männerschweigen üblich, ein Schweigen des Inhalts »Wir müssen nicht reden«, aber jetzt kriecht das andere, das fordernde und verzehrende Schweigen durch alle Ritzen, von keiner räumlichen Distanz unterbrochen, von keiner Tür aufgehalten und von keiner Musik übertönt.
    Dieses Schweigen schreit : »Ich muß dir was sagen, ich kann aber nicht.«
    Meine Tage hier sind gezählt, denkt Martin, ich muß mir eine Wohnung suchen. Aber wozu eigentlich ?

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