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Der langsame Tanz

Der langsame Tanz

Titel: Der langsame Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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zusammen Modell zu stehen«, sie kicherte, »zu turnen müßte man vielleicht besser sagen. Wir turnen Modell für erotische Bilder.«
    Martin schüttelte nur stumm den Kopf. Wollte man nicht die Wohnungseinrichtung oder Annes selbstgewissen Gesichtsausdruck zerschlagen, dann mußte man vor soviel Chuzpe einfach kapitulieren. »Das ist nicht zu fassen«, sagte er leise, »sie glaubt, sie kriegt alles mit einem Fingerschnippen.«
    Marlies lächelte belustigt : »Scheint mir, sie hat recht.«
    »Ein paar Semester Psychologie würden ihr vielleicht guttun. Menschen haben Gefühle.«
    »Jetzt tust du so, als sei das ein schrecklicher Gedanke.«
    »Mit dir zu schlafen ?«
    »Ja.«
    »Entschuldige, so war’s nicht gemeint, nur … ach verdammt, ich will jetzt nicht auch noch höflich sein.
    Man schläft doch nicht einfach mit jeder attraktiven Frau.«
    »Die Männer träumen davon, nach allem, was ich weiß.«
    »Quatsch.«
    Eine Zeitlang schwieg Marlies, und ihr amüsiertes Lächeln verlor sich. Ihre Augen wurden schmal. »Danke«, sagte sie in sarkastischem Ton.
    »Hm ?«
    »Dafür, daß du attraktiv gesagt hast.« Sie legte sich rücklings auf das Podest. »Daß sie dich nicht vorher fragt, ist schon blöd.«
    »Kennst du sie schon lange ?«
    »Sehr lange«, sagte Marlies wieder in diesem leicht sarkastischen Ton, »du bist hoffentlich nicht in sie verliebt.«
    Martin schwieg, und sie zog den einzig folgerichtigen Schluß daraus. »Gratuliere«, sagte sie, ohne sich aufzurichten.
     
    *
     
    Nein, ich werde kein schlechtes Gewissen gegenüber dieser netten Frau haben, sagte sich Martin, als er die Tür hinter sich schloß. Er ging los, nach links, dann den Grindelhof hinunter und weiter bis zum Eppendorfer Baum, wo er sich an ein Geländer lehnte, um ins träge Wasser eines Fleets zu starren.
    Er wollte nicht nach Hause zurück. Wozu auch. Sollte er ihr sein Elend ins Gesicht schreien ? Er wußte jetzt schon, wie ungerührt, erstaunt und arglos ihr Gesicht aussehen würde. Er hatte keine Freunde mehr, niemanden, zu dem er gehen und um zwei oder drei Nächte Asyl bitten konnte. Er lebte hermetisch in dem kleinen Stückchen Welt, das er mit Anne und ihrer Leidenschaft für Malerei bewohnte, und nichts mehr außerhalb, keine Freundschaft, keine Kollegialität, kein Geplänkel hatte überdauert. Er setzte sich in den Wienerwald und betrank sich.

44.
     
    Sharon geht zum Herd und stellt den Knopf unter dem Pastawasser auf Null. Dann nimmt sie Martins Hand und zieht ihn mit sich in sein Zimmer. Als müsse sie noch deutlicher werden, faßt sie dort den Saum seines Polohemdes und zieht es über seinen Kopf. Wie ein Kind hält er die Arme nach oben, um es ihr leicht zu machen, läßt sich ziehen, zuerst neben sie, dann über sie, und folgsam, so als wäre dies besprochen und gelernt, läßt er das Gleiten seiner Hände von Sharon dirigieren, die sich einrichtet in seinen Bewegungen, ihre Augen schließt und sich ihm überläßt.
    Ist das alles, denkt er irgendwann. Eine Frau liegt unter mir, und ich bewege mich auf und ab und warte auf ihren Orgasmus ? Oder meinen ? Was tu ich hier ?
    In der Missionarsstellung wie ein Schüler auf seiner Lehrerin herumhoppeln ?
    »Was hast du«, fragt Sharon, nachdem er einige Zeit wie abgeschaltet auf ihrem Bauch gelegen hat.
    »Entschuldige, es ist nicht wegen dir. Ich muß was verkraften.«
    »Verkraften ?«
    »Get over something.«
    »Somebody ?«
    »Ja. Es tut mir leid.«

17.
     
    Drei Wochen lang hatte Anne sich nicht blicken lassen.
    Drei Wochen, in denen Martin sich an Spielautomaten, in Kinos oder Cafés die taxifreie Zeit vertrieb, bis er endlich müde oder betrunken genug in die leere Wohnung ging, um wie ein Stein ins Bett zu fallen.
    Man hatte ihm Tagschichten übertragen, und er wußte nichts mehr anzufangen mit den Nächten, in denen alle durcheinanderrannten, hin und her, von Altona nach Eppendorf, vom Hafen nach Sankt Georg, dort einen suchten und hier einen fanden ; und er, anstatt diese aufgedrehten, fröhlichen und lustbereiten Menschen zu befördern, irrte deplatziert und verwirrt zwischen ihnen umher und kam sich vor wie ein längst ausgestorbenes Tier.
    In Annes Kleiderschrank schien nicht viel zu fehlen, und die Bilder hingen und standen alle noch da, also war sie nicht ausgezogen. Er legte ihren Teil der Miete aus, als der Hausbesitzer zum Kassieren kam. Er goß die Glyzinie auf ihrem Fensterbrett und achtete darauf, daß Bier im Kühlschrank war und Schokolade für

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