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Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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Lokalzeitung gelesen, dass er die Tochter des Bankiers Mangeain-Dupuy heiraten werde. Die Familie hat ein Schloss hier in der Nähe. Als kleiner Junge hat er dort oft im Park Pilze gesammelt. Er hatte immer Angst, die Schlosshunde würden ihm den Hosenboden zerfetzen, und wir machten uns köstliche Omeletts. Da habe ich mir gedacht, das sei doch eine schöne Wiedergutmachung …«
    Er lächelte schwach und klopfte sich den Staub von der Schürze.
    »Ich weiß nicht, ob er dort gut aufgenommen wurde. Immerhin trug er den Namen eines verlorenen Nests. Er stammte nicht aus ihrer Welt … Aber er war ungewöhnlich intelligent. Zumindest stand das in der Zeitung. Es war auch die Rede von einer amerikanischen Universität, von wichtigen Posten, die man ihm angeboten hatte, also müssen sie sich wohl dazu durchgerungen haben, ihm ihre Tochter zu geben. Ich war nicht zur Hochzeit eingeladen. Kurz darauf habe ich durch Leute, die im Schloss arbeiteten, vom Tod seines ersten Kindes erfahren. Grauenvoll! In einer Tiefgarage überfahren. Zerquetscht wie die Schildkröte Sophie. Und ich habe mir gedacht, dass das Leben sich wirklich einen Dreck um uns schert! Dass er das auch noch durchmachen musste! Gerade er! Danach habe ich immer mal wieder etwas über ihn gehört … Von den Leuten hier aus der Gegend, die im Schloss arbeiteten und seine Frau und die Kinder sahen. Es heißt, er sei ziemlich merkwürdig geworden, immer noch unglaublich klug, aber merkwürdig. Er fährt wegen jeder Kleinigkeit aus der Haut, er hat regelrechte Manien. Er muss ein unglücklicher Mensch sein. Ich weiß nicht, wie man sich von einer solchen Kindheit erholen soll. Der kleine Tom! Er war so süß, wenn er mit Sophie in der Werkstatt Walzer tanzte. Einen sehr langsamen Walzer, damit Sophie nicht schwindlig wurde. Er schob sie in seine Jacke, sie steckte ihren kleinen Kopf raus, und er redete mit ihr. Sehen Sie, ich habe nie geheiratet, ich hatte niemals Kinder, aber wenigstens habe ich niemanden unglücklich gemacht.«
    »Dann kennen sie einander also schon seit ihrer Kindheit …«, sagte Joséphine leise.
    »Ich habe schon viel über ihn gehört«, sagte Philippe, »aber diese Kindheit hätte ich mir niemals vorstellen können! Niemals!«
    Benoît Graphin hob den Kopf und sah Philippe direkt in die Augen. Seine Stimme zitterte.
    »Weil das keine Kindheit ist, deshalb!«
    Er hatte sein Heft zurückgelegt, seine Schachtel wieder geschlossen und schüttelte den Kopf, als wäre er ganz allein, als wären sie schon gegangen.
    Im Auto dachte Joséphine nach. Dann kannten sie sich also schon seit Langem … Das war die Spur, der Capitaine Gallois vor ihrem Tod nachgegangen war.
    »Glaubst du nicht, ich sollte Iris warnen?«, fragte Joséphine. »Diese Geschichte ist doch ziemlich brutal …«
    »Sie wird dir nicht zuhören. Sie hört nie zu. Sie jagt einem Traum nach …«
    Seit acht Tagen läuterte sie sich nun schon.
    Acht Tage, in denen sie die Wohnung nicht verlassen hatte. In denen sie um halb acht aufstand, um sauber zu sein, wenn er kam und ihr Essen brachte.
    Um Punkt acht Uhr klingelte er an der Tür und fragte: »Sind Sie auf?«, und wenn sie nicht laut und deutlich antwortete, wurde sie bestraft. Sie war einen ganzen Tag lang auf ihrem Stuhl festgebunden gewesen, weil sie morgens den Wecker überhört hatte. Sie hatte ihren Stilnox-Vorrat unter der Matratze versteckt und schluckte die Tabletten, um zu vergessen, dass sie nicht mehr trinken durfte. Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Sie wusste, dass es acht Tage waren, weil er es ihr in Erinnerung rief. Am zehnten Tag würden sie heiraten. Das hatte er ihr versprochen. Es wäre eine gegenseitige Verpflichtung. Ein feierliches Eheversprechen.
    »Und werde ich auch einen Trauzeugen haben?«, hatte sie mit gesenktem Blick, die Hände auf dem Rücken gefesselt, gefragt.
    »Wir werden einen gemeinsamen Zeugen haben. Der unser Eheversprechen zur Kenntnis nimmt, bevor es auch vor den Menschen offiziell wird …«
    Damit war sie einverstanden. Sie würde warten. So lange, wie er brauchte, um die Scheidungsunterlagen vorzubereiten. Er sprach nie von Scheidung, nur von Heirat. Sie stellte keine Fragen.
    Sie hatten mittlerweile eine gewisse Routine entwickelt. Sie war nicht mehr ungehorsam, und er wirkte zufrieden. Manchmal band er sie los und kämmte ihr langes Haar. Dabei flüsterte er ihr Liebesworte ins Ohr. »Meine Schöne, meine Wunderschöne, du gehörst nur mir … Versprich mir, dass du nie

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