Der langsame Walzer der Schildkroeten
dir vorbeischaue.«
»Keinen Ausflug, eine Besatzung, einen ordentlichen Hundertjährigen Krieg!«
Shirley lachte schallend. Shirleys Lachen! Es klebte Tapeten an die Wand, hängte Vorhänge und Bilder auf und füllte das ganze Zimmer.
»Wann kommst du?«, fragte Joséphine.
»Weihnachten … mit Hortense und Gary.«
»Aber du bleibst doch ein bisschen, oder? Ohne dich ist das Leben nicht mehr, wie es war.«
»Meine Güte, das war ja eine Liebeserklärung.«
»Liebes- und Freundschaftserklärungen sind einander nicht unähnlich.«
»Na … hast du dich in deiner neuen Wohnung schon eingelebt?«
»Mir ist, als wäre ich bei mir selbst zu Besuch. Ich setze mich ganz vorsichtig auf die Sofakante, ich klopfe an, ehe ich ins Wohnzimmer gehe, und bleibe die meiste Zeit über in der Küche, da fühle ich mich am wohlsten.«
»Das wundert mich nicht bei dir!«
»Ich habe die Wohnung gekauft, um Hortense eine Freude zu machen, und dann ist sie einfach nach London gegangen …«
Sie seufzte. Aber so ist das immer mit Hortense, sagte dieses Seufzen. Man legt seine Opfergabe vor einer verschlossenen Tür ab.
»Zoé geht es genau wie mir. Wir fühlen uns hier fremd. Es kommt uns vor, als wären wir in ein anderes Land gezogen. Die Menschen sind kühl, distanziert, verkrampft. Sie tragen zweireihige Anzüge und haben Doppelnamen. Nur die Concierge wirkt lebendig. Sie heißt Iphigénie und färbt sich jeden Monat die Haare anders, von Irokesenrot bis hin zu Eisbergblau, ich erkenne sie nie, aber ihr Lächeln ist echt, wenn sie mir die Post bringt.«
»Iphigénie! Die nimmt kein gutes Ende! Vom Vater oder Mann geopfert …«
»Sie lebt mit ihren beiden Kindern, einem fünfjährigen Jungen und einem siebenjährigen Mädchen, in der Hausmeisterloge. Und jeden Morgen um halb sieben stellt sie die Mülltonnen vor die Tür.«
»Ich wette, du wirst dich mit ihr anfreunden … Ich kenne dich doch.«
Das wäre durchaus möglich, dachte Joséphine. Sie singt, wenn sie die Treppe putzt, tanzt mit dem Staubsaugerschlauch und lässt riesige Kaugummiblasen platzen.
»Ich habe Samstag und Sonntag versucht, dich zu erreichen, aber du bist nicht rangegangen.«
»Ich bin aufs Land gefahren, zu Freunden nach Sussex. Aber ich wollte dich sowieso anrufen. Wie geht es dir?«
Joséphine murmelte, »könnte besser gehen …« dann erzählte sie ihr, was passiert war. Shirley verlieh ihrer Bestürzung mit mehreren » Oh! Shit! Joooséphiiine!« Ausdruck, verlangte nach mehr Details, überlegte und entschied schließlich, die Probleme der Reihe nach anzugehen.
»Lass uns mit dem geheimnisvollen Killer anfangen. Luca hat recht, du musst zur Polizei gehen. Er könnte tatsächlich weitermachen! Stell dir nur mal vor, er bringt unten vor deinem Fenster eine Frau um …«
Joséphine stimmte ihr zu.
»Versuch dich an alles zu erinnern, wenn du deine Aussage machst. Manchmal ist es ein Detail, dass sie auf die richtige Spur bringt.«
»Er hatte glatte Sohlen.«
»Seine Schuhsohlen? Hast du sie gesehen?«
»Ja. Glatte, fast saubere Sohlen, als hätte er die Schuhe gerade erst aus dem Karton genommen. Es waren schöne Schuhe, weißt du, Weston, Church, so etwas in der Art.«
»Aha …«, sagte Shirley. »Wenn er in Churchs rumläuft, ist er kein kleiner Gauner aus den Vorstädten. Aber für die Ermittlungen ist das nicht gut.«
»Wieso?«
»Weil glatte Sohlen einem nichts verraten. Weder das Gewicht noch die Größe einer Person. Und auch nichts darüber, wo sie zuletzt war. Wohingegen eine gute, abgewetzte Sohle wertvolle Hinweise liefert. Hast du eine Ahnung, wie alt er war?«
»Nein. Er war kräftig, das ist sicher. Ach ja! Er hatte eine näselnde Stimme, das habe ich gehört, als er mich mit seinen Obszönitäten beschimpft hat. Ich erinnere mich genau. So hat er gesprochen …«
Sie begann zu näseln und wiederholte die Worte des Mannes.
»Und er roch gut. Ich meine, er roch nicht nach Schweiß oder ungewaschenen Füßen.«
»Was bedeutet, dass er ziemlich kaltblütig gehandelt hat, ohne in Panik zu geraten. Er hat den Überfall geplant, hat alles vorbereitet und genau inszeniert. Es muss ihm um Rache gehen, um Wiedergutmachung für irgendein Unrecht, das ihm zugefügt wurde. Das habe ich beim Geheimdienst gelernt. Du sagst also, es gab keine vermehrte Schweißsekretion?«
Der Begriff mochte Joséphine vielleicht wundern, aber er überraschte sie nicht. In diesen schlichten Worten, »vermehrte Schweißsekretion«, schien
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