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Der Leibarzt der Zarin

Der Leibarzt der Zarin

Titel: Der Leibarzt der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und eine offene Jacke aus Wolfsfell. Das Gesicht erkannte Trottau nicht. Ein Wald von grauen Haaren überwucherte es völlig. Nur die Augen stachen aus dem bärtigen Gestrüpp heraus und ein Schlitz, der der Mund sein mußte. Der Mann starrte Trottau entgegen.
    »Das ist Igor Igorowitsch Blattjew, mein Mann«, sagte die Frau. »Ich bin Massja Fillipowna. Er ist nicht unhöflich, Herr, wenn er Euch nicht entgegenkommt und Gott für Euren Besuch lobt. Seht seine Augen – er freut sich. Aber er kann es nicht sagen. Der Zar hat ihm die Zunge herausreißen lassen.«
    Der Bojar Schemski glaubte an einen freundschaftlichen Besuch, als er vor seinem Gut die Fürsten Jurjew und Basmanow mit kleinem Gefolge von ihren Pferden steigen sah. Schemski spürte sogar so etwas wie ein Glücksgefühl, denn die beiden galten als Freunde des Zaren. Wenn sie jetzt hier erschienen, so bedeutete das, daß der Zar den Kurier angehört hatte und nun seine treuen Diener Jurij Alexandrowitsch Schemski seine besondere Gnade aussprechen ließ.
    Schemski band seinen mit goldenen Medaillen verzierten Gürtel mit dem kleinen Krummschwert um und ging den Besuchern entgegen. »Lang lebe der Zar, meine Freunde!« rief er vor der Tür. »Welch ein glücklicher Tag für mein Haus.«
    »Lang lebe der Zar!« riefen auch Jurjew und Basmanow, winkten ihren Reitern und blieben bei den Pferden stehen. Noch ehe Schemski es begriff, hatte man ihn gepackt, ihm die Arme nach hinten gerissen und die Mütze vom Kopf geschlagen. Der zweite Schlag ließ seine Lippen zerplatzen. Blut strömte über sein Gesicht.
    »Was tut ihr mit mir, Freunde?« stammelte er. Der dritte Schlag lähmte seine Sprache. Er spuckte Blut und sank in den Knien zusammen. Vier Reiter führten ihn vom Haus weg zu Jurjew und Basmanow.
    »Wie ist es möglich, so blöd zu sein?« fragte Jurjew, als Schemski vor ihm stand. »Du hast die Zarin beobachten lassen? Du hast die geliebte Frau des erhabenen Zaren verdächtigt?«
    »Es ist wahr«, röchelte Schemski. »Freunde, ich habe es selbst gesehen …«
    »Wahr ist, was der Zar als Wahrheit bestimmt.« Basmanow zog aus seinem brokatdurchwirkten Reitrock mit dem Saum aus Zobel eine kleine Rolle Papier. Schemski erkannte sie sofort. So ließ Iwan IV. seine Briefe versenden, quer durch das riesige Land.
    »Laßt mich selbst mit dem Herrscher sprechen«, stammelte Schemski. »Brüderchen, entrolle nicht den Brief! Führt mich zu dem erhabenen Zaren …«
    »Er hat sich bereits mit dir unterhalten. Der Zar ist kein Freund von vielen Worten. Ich lese vor …«
    »Warte!« schrie Schemski mit letzter Kraft. »Hört die Beweise! Warum befragt ihr nicht den deutschen Arzt?«
    »Frag den Zaren!« Basmanow hielt den Brief zwischen beiden Händen. »Im Namen des von Gott mit Segen und Gnade gekrönten Herrschers ist dem Bojaren Jurij Alexandrowitsch Schemski sein Leben an Gott zurückzugeben. Da er ein stolzer Mensch ist, soll er stehend sterben.«
    Schemski wurde von Schüttelfrost ergriffen. Er sank in die Knie, aber die Reiter rissen ihn wieder hoch und stellten ihn auf die Beine. Ein großer, bärtiger, unbeweglich dreinschauender Strelitze stellte sich vor Schemski auf und starrte auf dessen Füße in weichen, roten Juchtenstiefeln. Dann drehte der Strelitze schnell seine Pike herum und stieß die lange Spitze mit aller Kraft durch Schemskis rechten Fuß.
    Schemski brüllte nicht auf. Er knirschte bloß mit den Zähnen, das Blut auf seinem Gesicht vermischte sich mit kaltem Schweiß. Der lange Stiel der Pike schwankte vor ihm … Er war auf dem Boden festgenagelt und sah vor sich sein schönes Haus mit den bemalten Fensterläden, dem blauroten Schindeldach und den Kletterrosen an den Wänden.
    Die Reiter hatten Fackeln angezündet und legten nun an allen Enden des Gutes Feuer. Sofort fraß es sich in das trockene Holz hinein, und wenige Minuten später stand das Haus in hellen Flammen.
    Fürst Basmanow las weiter aus dem Befehl des Zaren vor: »Niemand darf ihn befreien. Keiner wage sich in seine Nähe und löse ihn vom Boden. Keiner berühre ihn, sonst ist auch ihm der Tod sicher.«
    Basmanow rollte den Brief zusammen und sah Schemski an. »Es wird vielleicht drei Tage dauern«, sagte er leise.
    Jurjew und Basmanow stiegen auf ihre Pferde und ritten davon. Das Prasseln des Feuers, das den Besitz Schemskis zerstörte, übertönte das Klappern der Hufe. Ein paar Strelitzen blieben zurück. Immer zwei von ihnen blieben rechts und links von Schemski stehen

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