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Der Leibarzt der Zarin

Der Leibarzt der Zarin

Titel: Der Leibarzt der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gewesen, noch nie … Als ich Xenia gebar, hat Igor alles getan – das Kind geholt, die Nabelschnur durchschnitten, mich gepflegt. Ich habe mein Kind bekommen, wie Ratten ein Junges werfen – auf dem Steinboden dort in der Ecke. Und was für ein schönes Mädchen ist Xenia geworden! Aber sie ist krank … Sie lebt, doch sie ist wie eine Fackel, die brennt und leuchtet und dabei immer kleiner wird. Am Ende ist sie nur noch ein Stumpf, aber auch dieser Stumpf gibt noch Licht, bis er sich ganz an der Flamme verzehrt hat. Genau so ist es mit Xenuschka. Sie ist wie eine Sonne für uns. Wir sehen sie an und wärmen uns an ihrem Anblick – und sie geht dahin mit jedem Tag, als verbrauche sie sich, so schön zu sein …«
    Massja Fillipowna brach mit gefalteten Händen vor Trottau in die Knie und drückte das Gesicht gegen seinen Schoß. »Hilf ihr …«, stammelte sie. »Hilf uns! Was sollen wir tun?«
    Über Massjas Kopf hinweg starrte Trottau auf Xenia. Sie lächelte ihn an – ein trauriges, überirdisches, wesenloses Lächeln, wie es die Ikonen in den goldenen Bildwänden der Kirchen haben.
    »Ich bin nicht krank«, sagte sie. Trottau zuckte zusammen. Xenias Stimme war klar und hell – ein Ton voller Leben inmitten eines Grabes. Eine Stimme, so angefüllt mit Jugend, daß Trottau ein Schauer über den Rücken lief. »Immer sagen sie, ich wäre blaß … Wer kann das verstehen? Ich sehe in einen Spiegel und begreife es nicht. Nie verändere ich mich. Und ich denke mir, daß jemand, der krank ist, sich verändert. Einmal hatte Mütterchen Fieber. Sie wurde rot im Gesicht, schwach in den Knien, wir mußten sie stützen und tragen, bis das Fieber gegangen war. Aber ich bin nie rot im Gesicht, ich habe nie die Kraft in den Beinen verloren, mein Kopf hat nie geglüht … Warum soll ich krank sein?«
    »Es gibt andere Krankheiten als nur Fieber«, erwiderte Trottau. Diese ersten Worte mußte er förmlich aus sich herauszwingen. Seine Kehle war wie zugeschnürt.
    Massja Fillipowna umklammerte seine Hände. »Hilf uns …«, bettelte sie. »Hilf …«
    Hinter sich hörte er Blattjews verhaltenes, mühsames Lallen. Auch er bettelt, dachte Trottau, und die Erschütterung ließ ihm beinahe übel werden. Er fleht mich an – dieses Monstrum ohne Zunge, das der Vater dieses Engels ist. Allein das ist schon ein Wunder …
    »Ich muß sie untersuchen«, erklärte Trottau mühsam.
    »Gott wird dich dafür segnen, Brüderchen!« Massja erhob sich. »Xenuschka, er ist ein Deutscher, ein berühmter Arzt. Der Arzt der Zarin …«
    In den Augen des Mädchens blitzte etwas auf. Widerstand, Haß, Neugier, Abwehr, Sehnsucht – was war es? Sein Gesicht belebte sich auf rätselhafte Weise. Es verlor das Überirdische, wurde menschlich.
    »Stirbt sie?« fragte Xenia.
    Trottau zuckte wieder zusammen. »Nein.«
    »Ist sie krank?«
    »Nein.«
    »Warum ist sie nicht krank und stirbt nicht!«
    »Sie ist ein dummes Mädchen! Hör nicht auf sie!« schrie Massja dazwischen, ehe Trottau antworten konnte. Blattjew drängte sich an ihnen vorbei zu seiner Tochter und schlug ihr ins Gesicht, daß ihr Kopf zurückflog.
    Er erschlägt sie, durchfuhr es Trottau. Er stieß Massja zur Seite, machte einen Sprung nach vorn und hieb Blattjew beide Fäuste in den Nacken.
    Aber Blattjew rührte sich nicht. Obgleich Trottau kein Schwächling war und die Kraft seiner Fäuste kannte, schüttelte das Monstrum den Schlag ab, als sei ein Tropfen aus den Steinritzen in seinen Nacken gefallen. Er drehte sich langsam um und sah Trottau aus traurigen Augen an. Aus seinem Mund quollen wieder die schrecklichen, mühsamen Laute. Massja übersetzte:
    »Igor Igorowitsch entschuldigt sich für die Bosheit seiner Tochter. Wir alle lieben die Zarin. Er mußte Xenia schlagen – wir sind es der Zarin schuldig.«
    Trottau blickte auf Xenia. Sie saß auf dem Bett wie vorher, fast regungslos. Nur in ihren blauen Augen lag noch immer dieser unerklärliche Blick, der alles, was ihr Leben bedeutete, zusammenfaßte.
    Welch eine Angst müssen sie vor der Zarin haben, dachte Trottau, daß Blattjew das Liebste, was er hat, so grausam schlägt.
    »Laßt mich mit Xenia allein«, sagte er laut. Das war ein Befehl, den Massja nicht erwartet hatte. Zögernd ging sie einen Schritt zurück, blieb aber im Zimmer. Blattjew rührte sich nicht. Er zog den Kopf zwischen die Schultern und grunzte dunkel.
    »Warum?« fragte Massja.
    »Ihr habt gesagt, ich solle Xenia untersuchen.«
    »Der Himmel danke dir

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