Der leiseste Verdacht
Gesichtsausdruck seines Freundes, während dieser den Brief las. Wie erwartet, durchlief dessen Gesicht alle Stadien der Verwunderung, der Ungläubigkeit und Bestürzung.
PM war blass geworden. Schwer atmend ließ er die Hand sinken, die den Brief hielt, und starrte unverwandt auf den Schreibtisch.
Roffe wartete eine Zeit lang vergeblich auf einen Kommentar, ehe er fragte: »Wer ist Marianne Wester?«
PM löste den Blick vom Schreibtisch und sah kopfschüttelnd aus dem Fenster.
»Woher soll ich das wissen!«, antwortete er schroff.
»Es ist also nicht wahr, dass du sie gezwungen hast, Hembergs geheime Adresse zu verraten?«
PM verzog gequält das Gesicht und hielt sich eine Hand vor die Stirn, sodass sie seine Augen verbarg. Er machte eine abwehrende Geste.
»Warte«, sagte er.
Roffe wartete lange. Schließlich sagte PM in nahezu resigniertem Ton: »Also gut, ich weiß, wer sie ist.«
»Warum hast du das nicht gleich gesagt?« Roffe klang erstaunt.
»Weil die ganze Geschichte so verdammt peinlich ist. Und weil mir alles ein Rätsel ist. Das ist doch völliger Irrsinn. Sie selbst hat mich schließlich aufgefordert, nach Stockholm zu kommen.«
»Sie? Katharina sagte mir, du wolltest irgendeinen Kerl treffen, der dir helfen könnte, an einen Teil des Geldes ranzukommen.«
»Ja, das habe ich Katharina gesagt, aber in Wahrheit wollte ich zu dieser Frau fahren.«
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»Du meinst also, dass die Frau, die du gestern in Stockholm getroffen hast, diesen Brief geschrieben hat.«
»Ja, aber ich habe sie nicht getroffen.«
Roffe stand auf und streckte die Hand über den Tisch.
Vorsichtig nahm er seinem Freund den Brief ab und legte ihn in eine der Schubladen. Er setzte sich wieder, lehnte sich zurück und sagte freundlich: »Ich schlage vor, du erzählst mir die ganze Geschichte.«
»Heißt das etwa, dass ich des Mordes verdächtigt werde?«
Roffe lächelte. »Ach was! Wir haben unzählige Tipps bekommen, was die Identität der Leiche betrifft. Aber natürlich bin ich verpflichtet, alle ernsthaften Hinweise zu prüfen, die bei uns eingehen, und dieser Brief ist bei uns eingegangen.«
PMs Blick glitt an den unerbittlichen Wänden entlang, als suche er nach einer Möglichkeit, dem Thema doch noch aus dem Weg zu gehen.
»Katharina darf nichts erfahren!«, sagte er mit Nachdruck.
»Was ich dir jetzt erzähle, darf ihr niemals zu Ohren kommen.
Wenn ich ein schlechtes Gewissen habe, dann ausschließlich ihr gegenüber.«
»Wie du willst.«
»Ich habe diese Frau anlässlich der Stockholmer Ausstellung im vergangenen Herbst kennen gelernt. Nach der geglückten Vernissage hatte uns Axel alle in eine Bar eingeladen. Es wurde nicht gerade ein hemmungsloses Besäufnis, aber nüchtern geblieben ist keiner. Axel kann ja sehr spendabel sein, wenn er ein großes Geschäft wittert. Später am Abend sind wir dann mit einigen seiner Freunde in der Opernbar gelandet, wo sich uns zwei Frauen anschlossen. Axel schien sie ziemlich gut zu kennen. Wir blieben bis spät in die Nacht zusammen, und schließlich habe ich eine von ihnen nach Hause begleitet. Das war Marianne Wester. Ich war ziemlich betrunken und wollte nur diese eine Nacht mit ihr verbringen. Als ich ihre Wohnung 48
am Vormittag verließ, war ich sicher, dass ich sie niemals wiedersehen würde, und ich war froh darüber. Aber sie hatte die Sache offenbar anders aufgefasst. Wenig später bekam ich einen Brief von ihr, der mir extrem unangenehm war. Axel muss ihr meine Adresse gegeben haben. Sie wollte mich in ihrem Sommerhaus treffen, das irgendwo in den Schären liegt. Ich hatte den Eindruck, dass sie ziemlich wohlhabend war. Außer dem Sommerhaus besaß sie schließlich diese große und exklusiv eingerichtete Wohnung in der Stockholmer Innenstadt. Wenn ich sie richtig verstanden habe, hat sie irgendeine Beratertätigkeit. Den Brief habe ich verbrannt, damit ihn Katharina nicht irgendwann in die Finger bekommt. Ich schrieb ihr zurück und bat sie so höflich wie möglich, die ganze Geschichte einfach zu vergessen und mich in Zukunft in Frieden zu lassen. Dann geschah die Sache mit den Bildern, die dir ja bekannt ist. Mein Reingewinn nach der Ausstellung belief sich auf ungefähr hundertsechzigtausend Kronen, von denen mir Axel bereits zwanzigtausend als Vorschuss gegeben hatte. Mit dem Rest ist er einfach abgehauen. Als ich nach Stockholm kam, um ihn zur Rede zu stellen, waren noch sechs unverkaufte Bilder übrig. Ich brauchte die Hilfe der Polizei, um an sie
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