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Der leiseste Verdacht

Der leiseste Verdacht

Titel: Der leiseste Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Brink
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schien voll und ganz damit beschäftigt zu sein, die tropfnassen Teller und Gläser auf dem Trockengestell zu verteilen.
    »Den Katzen geht es gut«, sagte er lakonisch. »Zu dieser Jahreszeit wimmelt es hier von Mäusen.«
    Sie wechselte das Thema. »Ist Roffe gestern lange geblieben?«
    »So gegen zehn ist er gefahren.«
    »Hattet ihr’s gemütlich?«
    Er gab ein trockenes Lachen ohne jede Wärme von sich.
    »Nicht besonders.«
    »Kann ich gut verstehen, dass Roffe früh gefahren ist«, sagte sie spitz.
    Er schwieg.
    Sie stand auf und setzte Kaffeewasser auf.
    »Warum ist er hierher gekommen?«, fragte sie.
    Auch auf diese Frage erhielt sie keine Antwort. Er schien sich vollständig auf das Ablassen des Wassers und das Wischen der Arbeitsplatte zu konzentrieren.
    Sie trug die Tassen ins Wohnzimmer.
    »Willst du die Nachrichten sehen?«, rief sie.
    »Nein, verdammt, ich dachte, wir wollen reden.«
    Im nächsten Augenblick war sie zurück und starrte ihn mit großen Augen an.
    »Habe ich richtig gehört? Du willst reden, mit mir? Über etwas Bestimmtes?«
    »Ja.«
    »Etwas Ernstes?«
    112

    »Ja.«
    Sie warf ihm einen erstaunten Blick zu.

    Sie saßen nebeneinander auf dem Sofa. Vor ihnen auf dem Tisch standen zwei saubere Tassen und eine Kanne mit frisch aufgebrühtem Kaffee. Katharina hob nervös ein paar herumliegende Zeitungen und Werbebroschüren auf, zündete eine Kerze an und stopfte sich ein Kissen in den Rücken. Sie begann sich zu fragen, ob sie wirklich mit ihm reden wollte. Der Mann an ihrer Seite strahlte eine verzweifelte Entschlossenheit aus, die nichts Gutes verhieß. Was hatte er nur vor? Dass er es beharrlich vermied, sie anzusehen, behagte ihr überhaupt nicht.
    Sein gehetzter Blick irrte durch den Raum, als suche er nach Fluchtmöglichkeiten. Die Stille quälte sie. Plötzlich fand sie, dass er verschlagen und alles andere als vertrauenswürdig aussah. Ein Fremder, dessen Abgründe ihr unbekannt waren.
    Von schlimmen Ahnungen erfüllt, wandte sie sich von ihm ab und stützte sich auf die Armlehne.
    »Schenkst du uns Kaffee ein?«, fragte sie.
    Vermutlich hatte er sie nicht verstanden, denn er stützte sich auf die andere Armlehne, schloss die Augen und begann plötzlich überhastet zu sprechen: »Du wirst schrecklich böse werden und mich verfluchen. Ich erwarte nichts anderes. Aber ich bitte dich, mir in Ruhe zuzuhören. Lauf nicht weg, ehe ich fertig bin.«
    Sie schaute ihn erschrocken an und schwieg abwartend.
    »Dieser Brief, der letzte Woche gekommen ist … von dem Mann, der mir helfen wollte, an mein Geld heranzukommen.
    Diesen Mann gibt es nicht. Der Brief war von einer Frau.«
    Ihr Körper erstarrte in Abwehrhaltung vor den Dingen, die da kommen würden, und sie verspürte ein Ziehen in der Nähe des Zwerchfells. Dann begann ihr Herz heftig zu pochen. Das hatte 113

    sie nicht erwartet. Irgendetwas in ihr schrie auf: Nein, nicht schon wieder!
    Er fuhr fort: »Ich bin ihr letzten Herbst nach der Vernissage begegnet. Vielleicht erinnerst du dich, dass ich dir erzählt habe, wie Axel mich und ein paar Geschäftskollegen hinterher noch in eine Bar eingeladen hatte. Während dieses Abends tauchten zwei Frauen auf, die er ebenfalls kannte. Sie begleiteten uns noch in zwei andere Bars. Ich hatte viel getrunken und brachte eine der Frauen nach Hause. Ich blieb über Nacht bei ihr.«
    Er machte eine Pause, in der seine Worte wie etwas Ekelhaftes und Klebriges zwischen ihnen hängen blieben. Sie saß vollkommen regungslos da, wie gelähmt, vernichtet.
    Er sprach weiter: »Als ich am nächsten Morgen aufwachte und wieder einigermaßen nüchtern war, fand ich mich selbst zum Kotzen. Ich zog mir meine Sachen an und rannte Hals über Kopf davon. Zu diesem Zeitpunkt war ich davon überzeugt, sie niemals wiederzusehen. Ich wollte es auch nicht. Auf der Rückfahrt im Zug beschloss ich, die ganze Geschichte aus meinem Gedächtnis zu streichen. Ich schämte mich entsetzlich.
    Und sicher wäre es mir auch gelungen, alles zu vergessen, wenn Axel mich nicht übers Ohr gehauen hätte. Als ich mit einer Stinkwut im Bauch seine Freunde und Bekannten in Stockholm abklapperte, wurde mir gesagt, die einzige Chance, irgendwie an Axel heranzukommen, sei diese Frau. Sie hatten offenbar ein enges Verhältnis. Also suchte ich sie in der Hoffnung auf, dass sie mir sagen könnte, wo Axel zu finden ist.«
    Katharina starrte wie gebannt auf das Titelfoto einer Zeitung, die auf dem Tisch lag. Eine junge Frau hielt einen

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