Der leiseste Verdacht
ihr grundsätzlich keine Fälle übernehmt, in die Verwandte oder Freunde von euch verstrickt sind.«
»Das ist richtig«, entgegnete er. »Darum habe ich auch meinen Kollegen Lasse Wagnhärad beauftragt, diese Spur zu verfolgen.
Ich selbst halte mich lieber im Hintergrund. Das ist zwar nicht 125
ganz korrekt, doch manchmal muss man Formfragen hintanstellen. Für die Ermittlungen im Ganzen bin immer noch ich verantwortlich, und ich sehe auch keinen Anlass, daran etwas zu ändern, weil ich überzeugt davon bin, dass der Verdacht gegen Patrik unbegründet ist. Wäre ich das nicht, hätte ich den Fall längst abgegeben. Auf der anderen Seite weiß niemand, wie sich die Dinge entwickeln werden. Sollte sich die Situation zuspitzen, werde ich vielleicht gezwungen sein, mich zurückzuziehen.«
Katharina musste kräftig durchatmen.
»Jetzt hast du mich aber erschreckt«, sagte sie vorwurfsvoll.
»Was könnte die Situation denn weiter zuspitzen?«
»Ich habe nicht den geringsten Einfluss auf die Maßnahmen, die in Stockholm in Zusammenhang mit dem Mord an Marianne Wester ergriffen werden. Falls Patrik mir die ganze Wahrheit erzählt hat, sollten sich keine unangenehmen Überraschungen ereignen. Trotzdem muss ich auf alles eingestellt sein …«
Roffe hielt inne und lächelte der chinesischen Kellnerin, die das Essen brachte, freundlich zu. Während sie die köstlich aussehenden Speisen auf den Tisch stellte, setzte Roffe zu einer Lobeshymne auf das Essen an, dessen Duft und Erscheinung ihn bereits in Begeisterung versetzten. Katharina hingegen, die immer noch unter dem Eindruck seiner letzten Bemerkung stand, starrte gedankenverloren aus dem Fenster. Als die Bedienung endlich verschwunden war, beugte sie sich über ihren Teller und fragte erregt:
»Was soll das heißen, falls Patrik die ganze Wahrheit gesagt hat? Zweifelst du etwa daran?«
Roffe sah plötzlich gequält aus. »Natürlich zweifle ich nicht daran, was den Kern betrifft. Aber es ist doch nur allzu menschlich, sich in ein günstigeres Licht zu stellen, als man eigentlich verdient. Ich behaupte nicht, dass er das getan hat. Ich habe nur meiner Hoffnung Ausdruck verliehen, dass er kein 126
fatales Detail verdrängt hat, das ihm später noch Probleme bereiten könnte.«
»Das ist das Gute an dir«, sagte Katharina, während sie ihm die Hand tätschelte. »Du versuchst gar nicht erst, die Dinge zu beschönigen. Das hat merkwürdigerweise etwas Beruhigendes.
Doch ich kann mir nicht vorstellen, dass Patrik etwas verschwiegen oder verdrängt hat. Das passt nicht zu ihm. Er kann einem ohne mit der Wimper zu zucken ins Gesicht lügen, aber wenn er sich dazu entschlossen hat, die volle Wahrheit zu sagen, dann verfälscht er sie nicht.« Sie warf einen Blick auf Roffes Teller. »Jetzt solltest du aber was essen«, sagte sie.
Sie sprachen kein Wort, während sie aßen. Roffe grunzte behaglich, und Katharina dachte bei sich, dass seine Fixierung aufs Essen immer wieder ein Erlebnis war. Der Wein entspannte sie ein wenig. Sie schenkte ihrem Gegenüber ein warmes Lächeln. Es war schön, einen Freund zu haben, der auch angesichts einer drohenden Katastrophe die Nerven behielt und mit dem man zusammen schweigen konnte.
»Möchtest du einen Kaffee?«, fragte Roffe, als sie fertig waren.
Katharina verzog das Gesicht.
»Nein danke. Ich habe schon den ganzen Morgen Kaffee in mich reingeschüttet. Ich konnte Patriks Anblick gestern Abend nicht mehr ertragen, nachdem er sein großes Geständnis abgelegt hatte. Also bin ich in die Stadt gefahren und habe bei Kajsa übernachtet. Bis vier Uhr morgens haben wir miteinander geredet und eine halbe Flasche Kirschwein getrunken, den wir mit Schnaps versetzt hatten.«
»Was ist mit Olle? War er nicht zu Hause?«
»Er arbeitet immer noch in Malmö. Sie haben Schwierigkeiten, sich zu entscheiden, wie es weitergehen soll.
Vorerst wohnt Kajsa mit Joakim allein.«
»Kennt sie die ganze Geschichte?«
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»Nein, sie weiß nicht, dass Patrik des Mordes verdächtigt wird, wenn du das meinst. Sie weiß nur, dass er ein ganz gemeiner Drecksack ist, der eine so wunderbare Frau wie mich gar nicht verdient.«
Katharina musste lachen, als sie Roffes Gesichtsausdruck sah.
»Ein Frauengespräch eben, und das war genau das, was ich brauchte.«
»Fährst du heute Abend nach Hause?«
Katharinas Züge verhärteten sich. »Ich glaube nicht.«
»Du solltest nicht zu lange damit warten.«
»Ich weiß nicht, ob du dich in meine
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