Der leiseste Verdacht
aufstehen.
Plötzlich vernahm Wagnhärad einen höllischen Lärm, der aus einem der Schweineställe drang. Für seine Ohren hörte es sich so an, als sei eine Horde Schweine in Aufruhr geraten, und er ging davon aus, dass es sich um die normalen Geräusche bei der Fütterung handelte. Angesichts der würzigen Düfte die Nase rümpfend, ging er auf den Wagen zu, in dem Bergh auf ihn wartete.
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Vor wenigen Tagen hatte er ein kurzes, aber bedeutsames Gespräch mit seinem Vorgesetzten Rolf Stenberg gehabt. Dieser hatte ihn in sein Büro gerufen und ihm schweigend einen Brief überreicht. Nachdem er den Brief gelesen hatte, sagte Stenberg zu ihm: »Einen Tag, nachdem sie diesen Brief geschrieben hatte, also am selben Tag, an dem er bei uns einging, wurde sie in ihrer Stockholmer Wohnung ermordet. Genau an diesem Tag wollte Patrik Andersson ihr einen Besuch abstatten, doch er sagt, er habe sie nicht angetroffen. Wie du vielleicht weißt, sind Andersson und ich alte Freunde. Darum wirft es ein komisches Licht auf die Ermittlungen, wenn ich ihn selbst vernehme.
Besser, du kümmerst dich um die Angelegenheit.«
Viel mehr hatte er nicht gesagt.
Wagnhärad befürchtete, diese Vernehmung könne ein schwer zu meisternder Drahtseilakt werden, fühlte sich von Stenbergs Vertrauen jedoch geschmeichelt. Er mochte seinen Chef und bewunderte ihn für seine Kompetenz und seine unkonventionelle Vorgehensweise. Zwar wusste er, dass vielen Kollegen Stenbergs eigenmächtige Methoden gegen den Strich gingen, doch konnte niemand leugnen, dass sie, auf lange Sicht betrachtet, meistens erfolgreich waren. Und dass er für drei schuftete, ließ sich ebenfalls nicht abstreiten.
Bergh ließ den Motor an.
»Wohin?«, fragte er.
»Wir fangen mit Patrik Andersson an, dann sehen wir weiter«, entgegnete Wagnhärad.
Wenige Minuten später parkten sie vor dem Eingangstor.
Sie bemerkten die Abwesenheit des weißen Fiat, und Bergh äußerte: »Wahrscheinlich ist er allein zu Hause.«
»Dann hoffen wir mal, dass er nicht mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden ist«, sagte Wagnhärad und stieg aus dem Auto.
Neugierig schaute er sich um. Das gepflegte rote Bauernhaus lag eingebettet in eine üppig blühende Landschaft. Ein ziemlich 134
großer Hof im Grunde, aber dieser Eindruck hatte wohl mit der ausgebauten Scheune zu tun, die direkt an das längliche Hauptgebäude angebaut war. Wagnhärad bemerkte die großzügigen Fenster unter dem Dach, wo vermutlich das Atelier untergebracht war. Ein idealer Ort für einen Künstler.
Noch ehe Wagnhärad die Haustür erreichte – er hatte diesmal wirklich diskret anklopfen wollen –, wurde sie sperrangelweit aufgerissen. Patrik der Maler stand auf der Schwelle und starrte sie verblüfft an. Wie schon beim letzten Mal trug er einen Bademantel, der seine besten Tage bereits hinter sich hatte und PMs haarige Beine und nackten Füße preisgab. Wagnhärad fing sich rasch wieder.
»Guten Tag. Was für ein Glück wir heute haben!«, rief er eine Spur zu überschwänglich.
PMs Gesicht verfinsterte sich. »Was Sie nicht sagen. Ich glaubte, es wäre meine Frau. Was wollen Sie?«
Wagnhärad mobilisierte sein liebenswürdigstes Lächeln und sagte: »Wie Sie vielleicht wissen, hat Roffe Stenberg die Ermittlungen in Bezug auf den Brief von Marianne Wester an mich übertragen. Ich habe ein paar Fragen an Sie.«
Sein Gegenüber gab sich keine Mühe, entgegenkommend zu sein. Schweigend und grimmig starrte er sie an, als spielte er mit dem Gedanken, den Polizisten die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Schließlich sagte er widerwillig: »Dann kommen Sie eben rein. Ich habe schlecht geschlafen und noch nicht gefrühstückt, also rechnen Sie ja nicht mit einem netten Plauderstündchen.«
Vor seinen Gästen ging er in die Küche.
Wagnhärad lächelte weiter, fest entschlossen, an seiner Freundlichkeit festzuhalten.
»Ich werde versuchen, es kurz zu machen«, sagte er, »und niemand hindert Sie daran, zu frühstücken, während wir uns unterhalten.«
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PM blickte ihn durchdringend an. »Das ist die Frage. Das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages, wie Sie wahrscheinlich selbst wissen. Es sollte in ruhiger und harmonischer Atmosphäre zu sich genommen werden. Was Sie mit mir zu besprechen haben, dürfte meiner Verdauung kaum förderlich sein.«
»Dann lassen Sie mich zuerst meine Fragen loswerden«, schlug Wagnhärad gutmütig vor. »Danach dürfen Sie zur Belohnung in Ruhe frühstücken.«
Endlich
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